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Architekturtradition und ethnische IdentitÀt

  1. Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Erich Lehner TU Wien

Zusammenfassung

Sumatra ist die Heimat vielfĂ€ltiger indigener Bautraditionen, deren Überleben wegen der schnellen Modernisierung des Landes gefĂ€hrdet ist. Dem Verlust lebendiger Bautraditionen folgt ein Verlust von Vielfalt und kultureller IdentitĂ€t. Der Beitrag widmet sich zunĂ€chst der indigenen Baukultur der Karo- und Toba-Batak, zweier Ethnien im Norden Sumatras. Ein zweiter Abschnitt stellt ausgehend von den traditionellen Haustypen die Anpassungsstrategien –chancen dar, die sich aus den westlichen EinflĂŒssen und den daraus resultierenden verĂ€nderten FamiliengrĂ¶ĂŸen ergeben. Die Anpassungsstrategien der Karo- und Toba-Batak illustrieren ein verzweifeltes Streben nach regionaler Zugehörigkeit und nach kultureller IdentitĂ€t im Zeitalter eines global-uniformen Architekturschaffens.

Keywords

Einleitung

Der sĂŒdostasiatische Archipel [1] ist weltweit eines der interessantesten Gebiete indigener Architekturtraditionen. Eine erstaunliche Vielfalt von Baukulturen höchster architektonischer QualitĂ€ten widerspiegelt in hohem Grad kulturelle IdentitĂ€ten.

Die Vielfalt an unterschiedlichen Baukulturen ergibt sich allein schon aus den riesigen geographischen Dimensionen des sĂŒdostasiatischen Archipels: So erstreckt sich etwa das Staatsgebiet der heutigen Republik Indonesien ĂŒber eine LĂ€nge, die der Ausdehnung Europas von Portugal bis zum Ural entspricht, wobei allerdings das Gebiet von zahllosen Inseln unterschiedlicher GrĂ¶ĂŸe zergliedert ist [2], deren Grad ihrer Isolierung voneinander die weitgehend eigenstĂ€ndige Entwicklung einzelner ethnischer Gruppen fördert. Eine Vielfalt eigenstĂ€ndiger Baukulturen entstand bisweilen auch innerhalb zusammenhĂ€ngender Landgebiete; die interessanteste Region bildet in dieser Hinsicht die Insel Sumatra (Abb. 1).

Abb. 1: Die Insel Sumatra, die den westlichen Teil des sĂŒdostasiatischen Archipels bildet. Die in diesem Artikel behandelten Baukulturen der Batak befinden sich in der Provinz Nordsumatra (Sumatera Utara).

Sumatra [3], die zweitgrĂ¶ĂŸte Insel Indonesiens, liegt genau am Äquator, weist jedoch durch ihre starke Gliederung in Niederungen und Bergregionen unterschiedliche Klimazonen auf, die von einem unertrĂ€glich feucht-heißen Ambiente in den östlichen Sumpfgebieten bis hin zu wohltemperierten [4] Zonen in den Bergregionen reichen. In diesen höher gelegenen Gebieten siedeln etwa die Batak und die Minangkabau, [5] wĂ€hrend die Acehnesen, eine Kulturgruppe, die eine entferntere Verwandtschaft zu den anderen auf Sumatra ansĂ€ssigen Ethnien aufweist, [6] auch tiefer liegende Regionen bevölkern [7]. Traditionen indigener Baukulturen haben sich bei den verschiedenen Ethnien auf Sumatra in unterschiedlicher IntensitĂ€t erhalten; am stĂ€rksten sind sie noch bei den Batak und Minangkabau lebendig, wĂ€hrend von den traditionellen Bauten der Acehnesen lediglich vereinzelte Objekte verblieben, die zudem oft nur noch museale Funktion besitzen.

Das IdentitĂ€tsbewusstsein einzelner Ethnien spielt auf Sumatra eine wesentliche Rolle, wobei der Bezug auf Charakteristika traditioneller Baukulturen eine SchlĂŒsselposition einnimmt. Besonders deutlich zeigt sich dies in einer GegenĂŒberstellung von ethnischen Gruppen der Batak, [8] insbesondere jener der Toba-Batak und Karo-Batak, deren Kulturen sich im Hochland Nordsumatras in enger geographischer Nachbarschaft entwickelten. Trotz dieser Nachbarschaft und der ethnischen Verwandtschaft entwickelten Toba- und Karo-Batak Siedlungsformen ganz unterschiedlichen Charakters, und auch ihre Bautypen weisen ganz unterschiedliche Merkmale auf. Dennoch zeigt sich bei nĂ€herer Betrachtung, dass sich diese Differenzen weitgehend auf das Erscheinungsbild der Bauwerke beschrĂ€nken, wĂ€hrend diese in struktureller Hinsicht durchaus viele Parallelen aufweisen.

Wohnhaustypen [9]

Dreiteiliger Aufbau

Der strukturelle Aufbau eines GebĂ€udes in drei Zonen unterschiedlicher Wertigkeit und Ausbildung ist ein weit verbreitetes Prinzip in sĂŒdostasiatischen Architekturtraditionen. Die Gliederung in Unterbau, Wandzone und Dachbereich ergibt sich als Resultat mehrerer Faktoren, die zueinander in logischer VerknĂŒpfung stehen: der bautechnische Schutz gegen NĂ€sse (Abhalten der hohen Bodenfeuchtigkeit durch Pfahlbauweise und mĂ€chtige Überdachung als Schutz gegen heftige tropische RegengĂŒsse); die konstruktive BewĂ€ltigung der Erdbebensicherheit [10] (Vermeiden der direkten Übertragung dynamischer KrĂ€fte); und schließlich die Symbolik von Unterwelt, irdischer und ĂŒberirdischer Welt, die im indischen Kulturraum nicht nur in der Sakralarchitektur typenbildend wirkt [11], sondern sich auch auf das Konzept des Wohnhauses auswirkt.

Resultiert also aus bautechnischen und funktionalen Ursachen eine Gliederung des Baukörpers in drei Zonen unterschiedlicher Wertigkeiten, so generiert die Symbolik des Bauwerk in seiner Widerspiegelung kosmischer Vorstellungen eine Steigerung dieser Wertigkeiten vom Unterbau ĂŒber die Wandzone zur Dachzone. Dieser Steigerung im Symbolgehalt entspricht eine Steigerung der Gestaltung – sowohl in der ornamentalen Wertigkeit als auch in der geometrischen Valenz, artikuliert im Übergang vom Stabwerk des Unterbaus ĂŒber die flĂ€chige Ausbildung der Wandzone zur skulpturalen Gestaltung des Dachkörpers (Abb. 2).

Abb. 2: Drei charakteristische Bautypen der Karo-Batak, die in ihrem Aufbau von Unterbau, Wandzone und Dachbereich deutlich die Wertigkeit dieser drei Zonen zeigen; den höchsten Rang nimmt dabei die Dachzone ein. (Zeichnungen nach: MĂŒller 2005)

Unterbau: SphÀre des Animalischen

Der Unterbau des Hauses entspricht in seiner symbolischen Wertigkeit der Unterwelt, der Welt des Übels und der animalischen Begierden. In dieser Zone des Hauses wird der Abfall gelagert, hier befinden sich Stallungen fĂŒr die Haustiere  [12] Die niederrangige Bedeutung des Unterbaus drĂŒckt sich in der geringen Beachtung einer Ă€sthetischen AusfĂŒhrung aus. Die nackte Konstruktion bleibt ohne Ornamentierung und kĂŒnstlerisch-skulpturale Ausbildungen; Vorrichtungen fĂŒr die statische und dynamische Festigkeit werden nicht verborgen, sondern in aller Deutlichkeit prĂ€sentiert: Die Zapfenverbindungen zwischen den vertikalen PfĂ€hlen und den horizontalen Aussteifungshölzern, sowie die manchmal recht ungefĂŒgen Basissteine, welche ein rasches Verrotten der PfĂ€hle verhindern sollen (Abb. 3). [13]

Abb. 3: Die Skelettkonstruktion des Unterbaus eines Wohnhauses der Karo-Batak mit den deutlich zur Schau gestellten bautechnischen Details der Schlitz-Zapfenverbindungen und der Basissteine, die das Verrotten der Steher verhindern sollen (Lingga).

Wandzone: SphÀre des Menschlichen

Die Wandzone – Aufenthaltsort der Hausbewohner – entspricht in ihrer Symbolik der SphĂ€re der irdischen Welt. Begrenzt wird dieser Bereich durch einen ebenflĂ€chigen Abschluss in Form einer Plankenwand; der Dekor ist weitgehend flĂ€chig und zeigt in manchen FĂ€llen sehr deutlich seine Verwurzelung in bautechnischen Elementen, wie etwa bei den konstruktiven VerschnĂŒrungen der Wandplanken, die in ihrer obligatorischen AusfĂŒhrung zu abstrahierten Darstellungen von Eidechsen umgedeutet werden (Abb. 4). Ähnlich der Ausbildung des Unterbaus werden konstruktive Details also auch in der Wandzone noch gezeigt, hier allerdings transformiert zu Dekorformen. [14]

Abb. 4: Konstruktive Details der Wandzone als Dekor: PlankenverschnĂŒrungen in Form von Eidechsen an einem Wohnhaus der Karo-Batak (Peceren).

Dachzone: SphÀre des Göttlichen

Der Dachbereich bildet die voluminöseste Zone im dreiteiligen Aufbau des Hauses. In seiner Symbolik wird er der Welt des Göttlichen, der Ahnen, gleichgesetzt und bleibt im Wesentlichen frei von praktischer Nutzung. [15] Die Position des Daches als höchstgelegenes Element des Bauwerks entspricht der Vorstellung der Götterwelten am Gipfel des kosmischen Berges Meru. [16] Anstatt der nackten Konstruktion des Unterbaus oder dem flĂ€chigen Dekor der Wandzone wird der gesamte Dachbereich in seiner Körperhaftigkeit zur Skulptur. In der baukulturell-individuellen Gestaltung des Dachkörpers finden wir hier die stĂ€rksten Unterschiede zu anderen Ethnien: Die Dachform wird zum Zeichen kultureller IdentitĂ€t.

So weist die Dachgestalt des traditionellen Hauses der Toba-Batak zwei wesentliche Hauptcharakteristika auf: eine extreme Durchbiegung des Satteldaches [17] und eine mehrfach durchbrochene, hypertroph dekorierte Giebelzone, wodurch die höchst charakteristische Gestalt des Daches sowohl bei der Betrachtung von der Seite als auch in der Frontalansicht in Erscheinung tritt. Beides ist von Relevanz im Siedlungsbild des Toba-Dorfes mit seinem lang gestreckten zentralen Platz: In Blickrichtung lĂ€ngs des Platzes dominieren die markanten sattelförmigen DĂ€cher, in Blickrichtung zu den HĂ€usern reihen sich die charakteristischen mehrschichtigen Giebelfronten aneinander (Abb. 5).

Abb. 5: Die markante Gestalt der sattelförmigen DĂ€cher mit ihren weit vorkragenden Giebeln verleiht den DorfplĂ€tzen der Toba-Batak ihre charakteristische PrĂ€gung. Leider sind heutzutage fast alle der ursprĂŒnglichen Strohdeckungen durch Wellblech ersetzt (Samosir).

Bei den traditionellen WohnhĂ€usern der Karo-Batak sind die bestimmenden Charakteristika der DĂ€cher nicht nur deren markante Formgebung, sondern auch das dominante Volumen, in seiner MĂ€chtigkeit das Erscheinungsbild des einzelnen Bauwerks und sogar der Siedlung bestimmend. Der Dachkörper des Karo-Batak-Wohnhauses weist ebenfalls zwei Schauseiten mit unterschiedlicher Charakteristik auf: Von der Frontseite aus betrachtet erscheint das Dach in der Silhouette eines einfachen Dreiecks, aber differenziert in der OberflĂ€chenstruktur, nĂ€mlich dem Deckungsmaterial im Fußwalmbereich und dem Flechtwerk im Giebelbereich, wĂ€hrend es hingegen von der Seite aus betrachtet zwar eine einheitliche OberflĂ€chenstruktur, jedoch eine differenziert-markante Silhouette aufweist, die dem Dach den Namen "WasserbĂŒffel" eingebracht hat (Abb. 6). [18]

Abb. 6: Die markante Dachform des Wohnhauses der Karo-Batak, gezeigt in ihren unterschiedlichen Schauseiten der Frontalansicht (links) und Seitenansicht (rechts) (Lingga und Barusjahe).

Durch die betrĂ€chtliche Differenz zwischen Frontalansicht und Seitenansicht der Dachkörper, die sowohl bei den Haustypen der Toba als auch der Karo offensichtlich ist und bemerkenswerterweise durch unterschiedliche Gestaltungsmittel erreicht wird, erhĂ€lt der Baukörper des Wohnhauses in seiner Gesamtheit eine markante axiale Ausrichtung. Diese Ausrichtung wird zum Ordnungsfaktor im Erscheinungsbild der Siedlung, sowohl bei den Toba-Batak, die gleichförmige Ausrichtung zum Platz hin akzentuierend, wie auch bei den Karo-Batak, die unregelmĂ€ĂŸige Bebauung strukturierend, indem die Dachform den auf annĂ€hernd quadratischer GrundflĂ€che aufbauenden HĂ€usern eine ausgeprĂ€gte gemeinsame Ausrichtung verleiht. [19]

Gemeinsamkeiten im dreiteiligen Aufbau

Die Steigerung der Symbolik des architektonischen Ausdrucks und der Gestaltungsmittel vom Unterbau ĂŒber die Wandzone zum Dachbereich wurde bereits in mehrfacher Hinsicht erwĂ€hnt: die sukzessive Steigerung von Ă€sthetischer Wirkung und Dekorformen, die sukzessive Verschleierung konstruktiver RealitĂ€ten, sowie die sukzessive Steigerung von der Skelettstruktur des Unterbaus ĂŒber die flĂ€chig begrenzte Wandzone zum körperhaften Dach. Der essentielle Faktor ist jedoch die Steigerung der identitĂ€tsbildenden Elemente (Abb. 7): Die Unterbauten werden bei den Toba und den Karo weitgehend identisch ausgebildet; die Wandzone erfĂ€hrt bei den Haustypen beider Baukulturen eine flĂ€chige Begrenzung, weist jedoch unterschiedliche Dekorformen auf: Die Dachzone besitzt schließlich das höchste Potential an gestalterischer IdentitĂ€t, die sich in mehrfacher Hinsicht manifestiert: einerseits im Satteldach mit durchgebogenem First und gewölbten DachflĂ€chen bei den Toba oder dem Fußwalmdach mit körperlich-kantig begrenzten ebenen DachflĂ€chen bei den Karo; andererseits in den prominenten Frontseiten, welche bei den Toba aus mehreren Ebenen bestehen und mit Balkonen [20] als – mehr oder weniger symbolische – Verbindung der Privatzone des Hauses mit dem öffentlichen Bereich des Platzes versehen sind, wĂ€hrend bei den HĂ€usern der Karo der dichte Abschluss durch den Fußwalm und der darĂŒber liegenden ebenflĂ€chig geschlossenen Giebelzone typenbildend wirkt.

Abb. 7: Im Aufbau von Unterbau, Wandzone und Dachbereich der Wohnhaustypen von Toba-Batak (oben) und Karo-Batak (unten) erkennt man wiederum deutlich die Hochrangigkeit der Dachzone, welche in ihrer jeweils charakteristischen Ausbildung typenbildend wirkt (3DModell: MĂŒller 2005).

RĂ€umliches Konzept

Die traditionellen WohnhĂ€user der Karo-Batak und Toba-Batak differieren nicht bloß in ihrem Erscheinungsbild; ein entscheidender Unterschied besteht auch im rĂ€umlichen Konzept [21]. Ist das Toba-Wohnhaus im Wesentlichen fĂŒr eine einzige Familie ausgelegt, so lebten im Karo-Wohnhaus bis zu acht Familien. Die grĂ¶ĂŸeren Dimensionen des Innenraums bedingten hier eine komplexere Struktur des Tragsystems, das krĂ€ftige InnenstĂŒtzen aufweist, womit es möglich ist, den gesamten Innenraum ohne tragende ZwischenwĂ€nde und damit ohne fixe rĂ€umliche Teilung auszubilden. [22] Die Platzeinteilung im Einheitsraum, dessen einzelne Kompartimente fallweise durch flexible Raumteiler wie Matten und Textilien visuell voneinander getrennt werden können, war dennoch fĂŒr die Mitglieder des Haushaltes verbindlich vorgegeben und widerspiegelte die Rangordnung der Bewohner. [23] Entsprechend der großen Bewohneranzahl gibt es im Haus mehrere Feuerstellen, deren Rauch sich im hohen Dachraum verteilt und durch Giebelöffnungen und Dachdeckung abzieht. Ein zentraler Erschließungsgang verlĂ€uft genau in der LĂ€ngsachse des GebĂ€udes und verbindet die beiden EingĂ€nge an den beiden Fußwalm-Giebelseiten des Hauses, die im Wesentlichen identisch ausgebildet sind. Damit erhĂ€lt das Bauwerk zwei Hauptfronten; es ist demnach nicht eindeutig nach einer bestimmten Seite hin ausgerichtet (Abb. 8 oben).

Abb. 8: Ein Vergleich der Grundrisse des Karo- und Toba-Wohnhaustyps zeigt die gĂ€nzlich unterschiedliche rĂ€umliche Konzeption: Zum einen das groß dimensionierte, nach zwei Seiten gerichtete Rumah der Karo-Batak (oberes Bild), zum anderen das wesentlich kleinere Rumah der Toba-Batak (unteres Bild), welches eine eindeutige Ausrichtung nach einer einzigen Seite hin aufweist; an der RĂŒckseite ist als Anbau die KĂŒche appliziert (Grundrisse nach MĂŒller 2005).

Das Wohnhaus der Toba-Batak besitzt dagegen nur einen einzigen Eingang und ist somit konzeptuell nach einer Seite gerichtet, die als prominente Schaufront ausgebildet wird. Das GebĂ€ude weist damit eine prononcierte "Vorder-" und "Hinterseite" auf, was sich nicht nur im Siedlungskonzept der entlang eines Platzes angeordneten HĂ€user auswirkt, sondern auch in der rĂ€umlichen Disposition des Kochbereichs: UrsprĂŒnglich besaß auch das Toba-Wohnhaus eine Feuerstelle im Inneren des Hauptraums; [24] unter dem Einfluss der europĂ€ischen Kolonisatoren wurde jedoch aus GrĂŒnden der Brandgefahr fĂŒr die Kochstelle ein Anbau an der RĂŒckseite des Hauses errichtet, [25] der eine starke rĂ€umliche Trennung des nutzbaren Innenraums bewirkt und damit möglicherweise den Auslöser fĂŒr weitere fixe Raumteilungen gegeben hat, die heute des Öfteren errichtet werden und den ursprĂŒnglichen Einheitsraum in mehrere KĂ€mmerchen zergliedern (Abb. 8 unten).

Eingangszonen

In vielen Baukulturen gehört die Eingangszone zu den prominentesten Bereichen im Erscheinungsbild des Hauses und nimmt im Allgemeinen eine dominante Position in der Hauptfassade ein. [26] In verschiedenen Baukulturen SĂŒdostasiens erfĂ€hrt dagegen der Hauseingang keinerlei prominente Gestaltung — eine Situation, die auch fĂŒr die Bautraditionen der Batak charakteristisch ist, aber auch hier von den ethnischen Gruppen der Karo-Batak und Toba-Batak wiederum in unterschiedlicher Art und Weise realisiert wird.

Die zurĂŒckhaltende Ausbildung der Eingangszone fĂ€llt als besonders merkwĂŒrdiges PhĂ€nomen dort auf, wo die Frontseite sich prestigetrĂ€chtig zur Schau stellt und mit Giebelbalkonen nach außen öffnet (Abb. 9 links): Der Eingang ins traditionelle Wohnhaus der Toba-Batak erfolgt ĂŒber ein schmales Leiterchen durch eine von außen nicht erkennbare kleine Luke. Auch bei den WohnhĂ€usern der Karo-Batak liegen die EingĂ€nge an den prominenten Giebelseiten, stehen jedoch ebenfalls in sonderbarem Kontrast zu den elaborierten Ausbildungen der Wand- und Dachzone: Die Eingangszone wird hier von einer Plattform aus primitiv zusammengebundenen Bambusrohren gebildet, an die eine ebenso primitive Leiter gelehnt ist (Abb. 9 rechts); ins Hausinnere gelangt man durch eine winzige TĂŒr mit einer hohen Schwelle.

Abb. 9: In ihrer Anspruchslosigkeit stehen die Eingangssituationen bei den traditionellen WohnhĂ€usern der Batak im krassen Gegensatz zur ĂŒbersteigerten Gestaltung der Hauptfassaden: Bei den Toba-Batak (Bild links) ist es ein bescheidenes Leiterchen, bei den Karo-Batak (Bild rechts) eine primitive Plattform aus zusammengebundenen BambusstĂ€ben (Ambarita und Barusjahe).

Eine der Ursachen fĂŒr derartig bescheidene Ausbildungen der Eingangszone ist die Verteidigungsfunktion der WohnhĂ€user: In dem einen Fall haben es unliebsame Eindringlinge schwer, durch eine weit hinter die Außenwand versetzte Luke, wie sie bei den Toba gebrĂ€uchlich ist, ins Hausinnere zu gelangen; im anderen Fall können die wie Provisorien erscheinenden Eingangsplattformen der Karo bei einem drohenden Angriff mit wenigen Handgriffen abgebaut werden.

Übrigens ist die Existenz dieser Bambusplattformen im ursprĂŒnglichen Konzept der traditionellen Karo-Batak-WohnhĂ€user zu hinterfragen. Es könnte sich um eine nachtrĂ€glich – möglicherweise unter dem Einfluss der EuropĂ€er [27] – entstandene Eingangslösung handeln. Auch die HauseingĂ€nge der Toba-Batak scheinen eine bedeutendere Rolle erst in jĂŒngerer Zeit und unter europĂ€ischem Einfluss genommen zu haben: Vielen WohnhĂ€usern der Toba ist heute eine massive Freitreppe aus Beton vorgelagert, die in höchst seltsamem Kontrast zum Holzskelettbau des Hauses steht (Abb. 10). [28] Als Pendant zu dieser Situation mögen die merkwĂŒrdigen, des Öfteren aus Betonfertigteilen hergestellten StiegenaufgĂ€nge erwĂ€hnt werden, die im rĂŒhrend-hilflosen Streben nach Modernisierung an die traditionellen OvalhĂ€user im Norden von Nias, einer Sumatra vorgelagerten Insel, [29] appliziert werden. [30]

Abb. 10: Zur Aufwertung der Eingangssituation werden den traditionellen WohnhÀusern der Toba-Batak heute oft völlig deplaciert wirkende Freitreppen aus massivem Beton vorgelagert (Samosir).

Transition

VerÀnderung von Haustypen

Architekturtraditionen sind lebendiger Ausdruck von Kulturen und reagieren, im steten Wandel begriffen, auf gesellschaftliche und technologische VerĂ€nderungen. PrĂ€gungen von traditionellen Bautypen Ă€ndern sich demnach umso schneller, je kurzlebiger ihre Einzelobjekte sind. Die in feucht-tropischen Klimazonen errichteten Holzskelettbauten erreichen eine Bestandsdauer von höchstens ein bis zwei Generationen und werden nur unter der Voraussetzung von gleich bleibenden VerhĂ€ltnissen des sozialen Umfelds in gleicher Art wieder errichtet; sukzessive VerĂ€nderungen der Gesellschaftsstruktur bewirken dagegen eine fortlaufende Entwicklung der indigenen Bautypen. Der massive Impact "westlicher" Kultur europĂ€isch-amerikanischer PrĂ€gung, der einen radikalen Bruch in den indigenen Kulturen der sogenannten Dritten Welt bewirkte, ĂŒbersteigt jedoch die Erneuerungskraft und EntwicklungsfĂ€higkeit tradierter Baukulturen bei Weitem.

Vom Bruch mit gesellschaftlichen Traditionen ist die indigene Architektur der Karo-Batak in besonderer Weise betroffen. Durch den Ersatz der Großfamilie durch die Kleinfamilie [31] haben die Einraum-WohnhĂ€user der Karo-Batak mit InnenrĂ€umen, die mehrere hundert Quadratmeter GrundflĂ€che besitzen, ihre Funktion verloren. Nur noch sporadisch genutzt, sind sie einem rapiden Verfall ausgesetzt, weil der Arbeitsaufwand fĂŒr die im tropischen Klima nötigen periodischen Sanierungsarbeiten nicht mehr gerechtfertigt erscheint, zudem es auch an Materialressourcen mangelt, da auf Sumatra der grĂ¶ĂŸte Teil des ursprĂŒnglichen Bestandes an wertvollem Bauholz aus Profitgier gerodet und ins Ausland verkauft wurde.

Die indigene Baukultur der Toba-Batak besitzt in dieser Hinsicht eine wesentlich gĂŒnstigere Ausgangslage. Die relativ kleinen HĂ€user lassen sich dem Wohnraumbedarf von Kleinfamilien anpassen und können von diesen auch besser instand gehalten werden. So haben sich in den Kerngebieten des Toba-Landes, vor allem auf der Halbinsel Samosir im Toba-See, traditionelle Bauformen in ungewöhnlich großer Zahl erhalten. Hier existieren noch gut erhaltene Ensembles, auch wenn die ursprĂŒngliche funktionale Struktur von WohnhĂ€usern und vis-a-vis stehenden Speicherbauten nicht mehr besteht: Nachdem aufgrund der heute ĂŒblichen kollektiven Versorgung die traditionellen familieneigenen Sopos (Speicherbauten) ihre Funktion verloren hatten, wurden sie in Rumahs (WohnhĂ€user) umfunktioniert, [32] indem man das aus einer Arbeitsplattform bestehende Mittelgeschoss mit einer Bretterwand ummantelte und den Eingang an die BedĂŒrfnisse eines Wohnbaus anpasste. [33] Im Erscheinungsbild der Siedlungsstruktur ergaben sich dadurch keine grundlegenden VerĂ€nderungen, da die Bautypen des Rumah und des Sopo in ihren formalen Charakteristika viele Übereinstimmungen aufweisen.

Eine einschneidende VerĂ€nderung im Erscheinungsbild der Toba-Siedlungen wurde allerdings durch die – immerhin positiv zu wertende – sukzessive Befriedung des Landes verursacht. Die in den frĂŒheren kriegerischen Zeiten angelegten und mit dichten Bambushecken bepflanzten ErdwĂ€lle, welche die Dörfer als sicherer Schutz gegen Angriffe feindlicher StĂ€mme umgaben, bestehen heute nur noch in Rudimenten. Das traditionelle Erschließungskonzept der Dörfer – ausschließlich in deren LĂ€ngsrichtung [34] – wurde durch das Abtragen der Siedlungsumwallungen aufgebrochen; die Stringenz der klassisch-linearen LĂ€ngsentwicklung ist durch die heute oft ĂŒblichen DorfzugĂ€nge an den der Straße zugewandten Langseiten nicht mehr in vollem Umfang erlebbar.

Im Vergleich der traditionellen Haustypen der Toba-Batak und der Karo-Batak zeigt sich also sehr deutlich der Stellenwert der VariabilitĂ€t in den Möglichkeiten funktionaler Nutzung fĂŒr eine kontinuierliche Weiterentwicklung von Architekturtraditionen. Einschneidende gesellschaftliche VerĂ€nderungen fĂŒhren nicht zwingend zu Bruch und Neubeginn einer Baukultur; in solchen Situationen hĂ€ngt deren Weiterbestehen von mehreren unterschiedlichen Voraussetzungen ab: Einerseits mĂŒssen die tradierten Bautypen ihre EntwicklungsfĂ€higkeit beweisen, in funktionaler und konstruktiver Hinsicht die VerĂ€nderungen von Gesellschaft und Technologie zu bewĂ€ltigen, andererseits muss aber auch in der Gesellschaft eine allgemeine Akzeptanz kultureller Tradition und IdentitĂ€t verankert sein.

IdentitÀt

Trotz des massiven Impacts westlicher Kultur spielen im tÀglichen Leben der Batak gesellschaftliche Traditionen eine nicht unbedeutende Rolle; auch heute noch wird das Sozialverhalten vom Adat geregelt, dem ungeschriebenen Gewohnheitsrecht, welchem im traditionellen Siedlungsverband oft höhere Bedeutung zugemessen wird als dem staatlich kodifizierten Gesetz. Damit ist kulturelle IdentitÀt auch heute noch ein Thema, das sich auf verschiedenen Ebenen zeigt.

Abb. 11: Eines der obligatorischen indonesischen Straßenportale an der Durchzugstraße nach Brastagi, als "Tor der Region" den Eintritt in das Gebiet der Karo-Batak markierend, gestaltet als Collage charakteristischer Elemente der indigenen traditionellen Architektur.

Abb. 12: Einigermaßen moderne Verkaufsbude im Stadtzentrum von Brastagi mit aufgesetzten Dachelementen der traditionellen Karo-Batak-Architektur.

Die Stellung der Architektur in diesem Zusammenhang ist höchst aufschlussreich: Die traditionellen Bautypen der verschiedenen ethnischen Gruppen verkörpern deren kulturelle Zugehörigkeit und sind Symbol regionaler IdentitĂ€t: So tragen die fĂŒr Indonesien typischen, auf den Durchzugsstraßen errichteten riesigen Torbauten, welche Provinz- und Bezirksgrenzen markieren, auf ihren Flankenpfeilern Modelle traditioneller Haustypen mit deren charakteristischen Dachformen (Abb. 11); DenkmĂ€ler und GrabstĂ€tten werden an mehr oder weniger passenden Stellen mit Applikationen charakteristischer Bauteile und Baudetails traditioneller Architektur geschmĂŒckt; Verkaufsbuden, Restaurants, Tankstellen, Busstationen und sogar MĂŒllcontainer markieren ihre regionale Zugehörigkeit mit aufgesetzten DĂ€chern traditioneller WohnhĂ€user und Speicherbauten (Abb. 12); Verwaltungsbauten der Regierung und öffentlicher Einrichtungen werden als ĂŒberdimensionierte Modelle traditioneller WohnhĂ€user errichtet (Abb. 13); und auch die in ihrer unfassbaren HĂ€sslichkeit unĂŒbertreffbaren obligatorischen BefreiungsdenkmĂ€ler zeigen ihre Zugehörigkeit zum entsprechenden Distrikt unmissverstĂ€ndlich durch applizierte Details traditioneller lokaler Bauformen (Abb. 14).

Abb. 13: Modernes VerwaltungsgebÀude, errichtet als hypertrophes Modell eines traditionellen Wohnhauses der Toba-Batak (Tarutung).

Abb. 14: Hemmungsloser Regionalismus scheut auch nicht vor der Vereinnahmung der unvermeidlichen indonesischen BefreiungsdenkmĂ€ler zurĂŒck: Die martialische SiegessĂ€ule von Brastagi wĂ€chst aus einem betonierten Karo-Batak-Wohnhausmodell.

Die Klassiker unter den Bautypen, die ihre kulturelle Identifikation mit der zugehörigen ethnischen Gruppe durch Applizieren baulicher Charakteristika lokaler Architekturtraditionen zu vermitteln suchen, sind im Batak-Land zweifellos die GrabstĂ€tten. Die unzĂ€hligen hier allenthalben anzutreffenden GrĂŒfte sind von den ortstypischen traditionellen Dachformen bekrönt; Stufenpyramiden werden angelegt mit Balustraden, welche wie die BalkonbrĂŒstungen an den Frontseiten der WohnhĂ€user ausgebildet sind; Modelle traditioneller WohnhĂ€user krönen die Grabplatten, und manchmal tragen die Grabbauten Teile ganzer Siedlungsmodelle (Abb. 15).

Abb. 15: In der Toba-Region werden die Grabmonumente von Wohnhausmodellen in traditioneller Bauform geziert. Manchmal findet sich eine ganze Gruppe davon auf einer Gruft (GrabstÀtte bei Pangururan).

Bisweilen fĂŒhrt die Sucht nach kultureller IdentitĂ€t in der architektonischen Expression bis an die Ă€ußersten Grenzen des Zumutbaren, wie etwa bei dem als "Die Pyramide" bekannten Grabdenkmal auf Samosir, das sich als riesenhafter steingemauerter Kegel prĂ€sentiert, dem an der Frontseite ein halbiertes Toba-Wohnhaus vorgesetzt ist (Abb. 16).

Abb. 16: "Die Pyramide", eine GrabstÀtte in Form eines kolossalen steingemauerten Kegels mit einem vorgelagerten halbierten Toba-Wohnhaus als Eingang (Samosir).

Derartige Höhepunkte jenseitigen ArchitekturverstĂ€ndnisses werden auf Sumatra manchmal noch ĂŒbertroffen von den Ausgeburten lokaler christlicher Sakralbaukunst. Im hartnĂ€ckigen Bestreben der Kirche, sich den Batak anzubiedern, die noch vor einem Jahrhundert ihre kannibalischen Traditionen durch das Verzehren von Missionaren gepflegt hatten, entstehen beispiellose kompositorische Synkretismen des vom obligaten Stahlbetonskelettbau-geprĂ€gten anonymen indonesischen Kirchentyps mit regionaltypischen Architekturformen. Die prestigetrĂ€chtigsten Elemente des Standard-Sakralbautyps werden ohne RĂŒcksicht auf konzeptionelle ZusammenhĂ€nge durch Bauteile lokaler Architekturtradition ersetzt: Ebenso, wie anstatt eines Turmdaches hin und wieder das Modell eines Wohnhauses aufgesetzt wird, findet manchmal auch ein halbiertes traditionelles Wohnhaus als Kircheneingang seinen Platz (Abb. 17). Das endgĂŒltige Aufgehen in den Traditionen der indigenen Baukultur erreicht die christliche Sakralarchitektur schließlich mit Bauten, deren Charakteristik vollstĂ€ndig vom Wohnbautyp kopiert wurde, wie etwa bei der katholischen Kirche von Pangururan (Samosir), die zwar das zigfache Volumen eines klassischen Toba-Wohnhauses aufweist, dennoch bis ins Detail sogar dessen Eingangssituation nachbildet, auch wenn deshalb eine ergĂ€nzende behindertengerechte Rampe angefĂŒgt werden musste, wodurch das ursprĂŒnglich wohl angestrebte Erscheinungsbild dann doch etwas beeintrĂ€chtigt wird (Abb. 18).

Abb. 17: Mit dem Modell eines halbierten traditionellen Toba-Wohnhauses als Eingang erhÀlt die in der obligatorischer Stahlbetonskelettkonstruktion errichtete indonesische Kirche den ersehnten regionalen Touch.

Abb. 18: Die katholische Kirche von Pangururan (Samosir), errichtet als monströses Modell eines traditionellen Wohnhauses der Toba-Batak, allerdings ausgestattet mit allem Komfort westlicher Zivilisation.

In allen diesen Beispielen zeigt sich ein verzweifeltes Streben nach regionaler Zugehörigkeit, nach kultureller IdentitĂ€t, die im Zeitalter des global-uniformen Architekturschaffens die letzten Stadien des Auflösungsprozesses zu erreichen droht. Kultur – und dazu zĂ€hlt selbstverstĂ€ndlich auch die Architektur – entwickelt sich aus einem bestimmten Umfeld von regionalen Umweltbedingungen und den Errungenschaften der indigenen Gesellschaft. Importierte Kultur, entstanden und entwickelt in einem anderen Umfeld, verliert ihre Relevanz — vor allem, wenn sie sich als weltweite Standardisierung vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Profitmaximierung erklĂ€rt.

Die globale Standardisierung der gebauten Umwelt fĂŒhrt nicht nur zum Verlust der kulturellen Vielfalt, sondern verhindert auch eine Weiterentwicklung lebendiger Architektur. Ein derartiger Verlust der Vielfalt von Architekturtraditionen wĂ€re aber gleichbedeutend mit dem Verlust aller kulturellen IdentitĂ€t: Ein Szenario, in dem der Niedergang der Baukultur in deren Gesamtheit unvermeidlich sein wĂŒrde.



[1] Der sĂŒdostasiatische Archipel, auch als "Malaiischer Archipel" bezeichnet, umfasst die zwischen dem Indischen und Pazifischen Ozean gelegenen Großen und Kleinen Sunda-Inseln, Borneo, Sulawesi, die Molukken, die Philippinen und Neuguinea, sowie viele weitere kleine Inseln.

[2] Nach offizieller ZÀhlung besteht die Republik Indonesien aus 13.677 Inseln; stÀndig besiedelt sind allerdings weniger als tausend davon (Quelle: Bill Dalton: Indonesien-Handbuch. Bremen 1985. S. 7).

[3] Sumatra, die westlichste der Sunda-Inseln, ist mit einer FlĂ€che von mehr als 425.000 km² die sechstgrĂ¶ĂŸte Insel der Welt und wird derzeit von etwa 46 Mill. Menschen bewohnt (Quelle: City population.Population statistics. http://www.citypopulation.de/Indonesia-CU.html).

[4] Der Ausdruck "wohltemperiert" entspricht hier der subjektiven Einstellung eines Bewohners gemĂ€ĂŸigter Klimazonen; ein im Tiefland lebender Indonesier wĂŒrde Temperaturen unterhalb von etwa 25°C als unangenehm kĂŒhl empfinden und ernstliche GesundheitsschĂ€den befĂŒrchten.

[5] Die ethnischen Gruppen der Batak siedeln in den hoch gelegenen Regionen um den Toba-See in Nordsumatra (Provinz Sumatera Utara). Das Kerngebiet der Minangkabau befindet sich im Hochland Westsumatras (Provinz Sumatera Barat).

[6] Die Acehnesen (Achinesen, Atjeher, Atschinesen; s. dazu: Waldemar Stöhr (Hg.): Lexikon der Völker und Kulturen. 3 Bde. Braunschweig 1976. Bd. 1. S. 41 f.) waren bis gegen Ende des 17. Jhds. das mĂ€chtigste Volk auf Sumatra gewesen. Möglicherweise aufgrund dieses vermeintlichen alten Anspruchs, sicherlich aber wegen ihrer streng muslimischen Glaubenshaltung setzen sie sich bewusst von den anderen indonesischen Ethnien ab, die eine wesentlich tolerantere Religionspolitik verfolgen, wie dies insbesondere in der Provinz Nordsumatra durch den großen Bevölkerungsanteil von Christen deutlich wird.

[7] Die Anlage von Siedlungen und StĂ€dten in kĂŒstennahen tief gelegenen Gebieten, wie sie vor allem seit der Zeit des europĂ€ischen Kolonialismus in der Umgebung von SeehĂ€fen entstanden, war in traditionellen Baukulturen Indonesiens im Allgemeinen nicht ĂŒblich. Die Nachteile des Ignorierens dieser Tradition zeigten sich dann auch beim großen Tsunami im Jahre 2004, welcher die KĂŒstensiedlungen in Aceh austilgte.

[8] Üblicherweise werden die Batak in eine Nord- und eine SĂŒdgruppe eingeteilt, die sich durch ihre Dialekte unterscheiden. Zur Nordgruppe zĂ€hlen die Pakpak-, Dairi- und Karo-Batak, zur SĂŒdgruppe die Mandailing-, Angkola und Toba-Batak. Die Simalungun-Batak nehmen eine Mittelstellung ein, wie sich dies auch deutlich in Konstruktion und Erscheinung der traditionellen Architektur ausdrĂŒckt. (Zusammenfassende Kurzdarstellungen ĂŒber die Batak: Achim Sibeth u.a.: Mit den Ahnen leben. Batak. Menschen in Indonesien. Stuttgart 1990. Christoph MĂŒller: Architekturtradition. Traditioneller Wohn- und Siedlungsbau in der Provinz Nordsumatra. Wien TU Diss. 2005. Kap. 3.2. Stöhr 1976. Wie Anm.  [6]. S. 59 f.

[9] Der Artikel beschrĂ€nkt sich im Wesentlichen auf die Typen der WohnhĂ€user (Rumah) von Karo-Batak und Toba-Batak, da ein Einbeziehen anderer Bautypen den Rahmen des Beitrags sprengen wĂŒrde. Dennoch soll hier angemerkt werden, dass die Bautypen der Speicher (Sopo) in ihrer architektonischen Wertigkeit eine beinahe ebenso große Bedeutung besitzen wie die Rumah.

[10] Indonesien ist eine der durch Erdbeben am höchsten gefÀhrdeten Regionen der Welt.

[11] Auf diesem Konzept der Dreiteilung baut sowohl der hinduistische als auch der buddhistische Kultbau auf. In Indonesien haben diese beiden Religionen die Errichtung zahlreicher bedeutender Sakralanlagen hinterlassen, bevor die Islamisierung – in manchen Gebieten auch die Christianisierung – die ursprĂŒnglichen Religionen verdrĂ€ngte.

[12] Der Raum zwischen den PfĂ€hlen des Unterbaus wird vor allem bei den WohnhĂ€usern der Toba-Batak fĂŒr die Haltung von Schweinen und HĂŒhnern genutzt. Die horizontalen Aussteifungshölzer der Pfahlbaukonstruktion dienen dabei gleichzeitig als Gatter fĂŒr die Tiere.

[13] Durch ein Eingraben der PfĂ€hle ergĂ€ben sich zwar prinzipiell bedeutende Vorteile fĂŒr das statische System, es entstĂŒnden jedoch noch wesentlich gravierendere Nachteile wegen des rasch fortschreitenden Verrottens der Steher, die im tropischen Klima Sumatras durch das Ansaugen von Bodenfeuchtigkeit binnen kurzer Zeit verfaulen wĂŒrden.

[14] Neben den SchnĂŒrungsmustern kommen bisweilen auch aufgemalte Ornamente vor (wobei Rankengebilde sehr beliebt sind) und manchmal sogar szenische Darstellungen. Oft lĂ€sst sich dabei jedoch feststellen, dass derartiger Dekor unter kolonialem Einfluss entstanden ist (fĂŒr die Ornamentik in der Architektur der Batak siehe: Andrianus G. Sitepu: Ragam hias (ornamen) tradisional Karo. seri: A. Kabanjahe 1980. Herlan Panggabean (Hg.): Ornamen (ragam hias) rumah adat Batak Toba. Medan 1997/1998. Samaria Ginting / Andrianus G. Sitepu: Ragam hias (ornamen) rumah adat Batak Karo. Medan 1994/1995.

[15] Verschiedene traditionelle Riten beziehen sich auf die Vorstellung, dass der Dachraum von den Ahnen bewohnt wĂ€re. Als Hinweise seien hier der im Dachraum befindliche Opferplatz fĂŒr die Stammeltern bei den Toba-Batak erwĂ€hnt, oder der von einem Medium in Trance vollfĂŒhrte Ritualtanz bei den Karo-Batak, bei dem durch das BerĂŒhren eines Dachbalkens der Kontakt zu den Geistern der verehrten Verstorbenen aufgenommen wird (Sibeth 1990. Wie Anm.  [8]. S. 49. Roxana Waterson: The Living House. An Anthropology of Architecture in South-East Asia. Oxford 1990. S. 227).

[16] In den religiösen Vorstellungen des von Indien beeinflussten Kulturraums symbolisiert der mythologische Berg Meru das Zentrum des Universums und die Achse der Welt, gegliedert in die Unterwelt mit den Höhlen der dĂ€monischen "alten Götter", die mittlere Welt mit dem Lebensraum von Menschen, Tieren und Pflanzen, sowie die ĂŒberirdische Welt mit den SphĂ€ren der himmlischen Wesen und GötterpalĂ€ste. (Zur Mythologie des Berges Meru existieren zahlreiche Beschreibungen und Interpretationen; siehe dazu beispielsweise: John Snelling: Buddhismus. Ein Handbuch fĂŒr den westlichen Leser. MĂŒnchen 1991 (1London 1987). S. 52 ff).

[17] Durchbiegungen des Firstes sind auch fĂŒr andere Baukulturen in SĂŒdostasien und Ozeanien charakteristisch, beispielsweise fĂŒr die Toraja auf Sulawesi oder Baukulturen auf Neuguinea. Die gestalterischen Intentionen betreffend ist es allerdings nicht ganz richtig, von einer "Durchbiegung" des Firstes zu sprechen; tatsĂ€chlich ist das Hochziehen des Firstes an den Giebelseiten ausschlaggebend, wodurch der Prestigefaktor der hoch empor ragenden Giebelfronten eine betrĂ€chtliche Steigerung erfĂ€hrt. (Zu den verschiedenen Arten von gebogenen Dachfirsten und ihrer Entwicklung in Indonesien siehe: Gaudenz Domenig: Tektonik im primitiven Dachbau. ZĂŒrich 1980.).

[18] In diesem Zusammenhang mag die Bedeutung des WasserbĂŒffels als Symbol fĂŒr Reichtum und soziales Prestige in Indonesien erwĂ€hnenswert sein. Gilt in anderen Regionen des insularen SĂŒdostasien – beispielsweise bei den Toraja auf Sulawesi – die Zurschaustellung einer möglichst großen Anzahl von WasserbĂŒffelhörnern an der Hausfront als Statussymbol (Waterson 1990. Wie Anm.  [15]. S. 140, 141), so bildet bei den Karo-Batak ein WasserbĂŒffelkopf den prestigetrĂ€chtigen höchsten Punkt des Hauses ĂŒber der Giebelspitze.

[19] Die Ausrichtung der HĂ€user ergibt sich einerseits aus der Anlage der LĂŒftungsöffnungen in den GiebelflĂ€chen des Dachbereichs zur vorherrschenden Windrichtung, also auf einer klimatechnischen Lösung, andererseits auf symbolisch-mythologischen Vorgaben.

[20] Zu den charakteristischen Giebelbalkonen der Toba-WohnhÀuser vgl. Gaudenz Domenig: "Consequences of functional change. Granaries, granary-dwellings, and houses of the Toba Batak". In: Reimar Schefold / Gaudenz Domenig / Peter Nas: Indonesian houses. Tradition and transformation in vernacular architecture. Leiden 2003. S. 81 ff.

[21] Zur Raumaufteilung bei den WohnhĂ€usern der Toba- und Karo-Batak siehe MĂŒller 2005 (vgl. Anm.  [8]). Kap. 8.1.

[22] Die WohnhĂ€user der Karo-Batak besitzen annĂ€hernd quadratischen Grundriss und entsprechen damit nicht dem fĂŒr grĂ¶ĂŸer dimensionierte Holzskelettbauten angewandten Langhaus-System, wie es in anderen Bautraditionen SĂŒdostasiens öfters auftritt; in einem derartigen Fall hĂ€tte ein einfaches Tragsystem additiv in LĂ€ngsrichtung angeordnet werden können.

[23] Siehe dazu: Sibeth 1990 (vgl. Anm.  [8]). S. 56.

[24] Entsprechend der kleineren Dimensionen des Toba-Hauses und der entsprechend geringeren Bewohnerzahl befindet sich hier nur eine einzige Feuerstelle anstelle von mehreren wie im Wohnhaus der Karo-Batak.

[25] Diese heute obligatorischen KĂŒchenanbauten an den RĂŒckseiten der traditionellen WohnhĂ€user der Toba-Batak weisen sich durch ihre unbedarften Bauformen (einfaches Satteldach – oder seltener abgewalmtes Dach – mit geradem First und simple Wand- und Giebelverbretterung) als Fremdkörper im architektonischen Gesamtkonzept aus, auch wenn sie bei den jĂŒngeren GebĂ€uden gleichzeitig mit dem Hauptbau errichtet werden.

[26] Die Artikulation als "Hauptfassade" wird in vielen anderen Baukulturen vor allem durch die Positionierung des – in vielen FĂ€llen aufwĂ€ndig gestalteten und optisch durch Umrahmungen und flankierende Elemente vergrĂ¶ĂŸerten – Einganges an der Frontseite erreicht.

[27] Sumatra wurde 1825 von den NiederlÀndern in Besitz genommen; als erstes Gebiet im Batak-Land wurde 1835 Mandailing unterworfen.

[28] Es soll hier erwĂ€hnt werden, dass vereinzelt und sehr selten auch aus Stein gehauene Eingangstreppen auftreten, die aber möglicherweise ebenfalls Applikationen aus jĂŒngerer Zeit sind, wie etwa in Huta Siallagan bei Ambarita (Samosir), wo die weithin bekannten Steinskulpturen des Dorfplatzes erst aus den 1930-er Jahren stammen (Sibeth 1990 (vgl. Anm.  [8]). S. 44).

[29] Nias gehört ebenso wie das Gebiet der Batak zur indonesischen Provinz Sumatera Utara. SelbstverstĂ€ndlich hat die Insel Nias durch ihre isolierte Lage (120 km von der KĂŒste Sumatras entfernt) eine eigenstĂ€ndige – und ĂŒbrigens hoch interessante – Entwicklung erfahren; in den architektonischen Konzepten der Baukunst von Nord-, Mittel- und SĂŒdnias sind allerdings gewisse Parallelen mit der indigenen Architektur der Hauptinsel Sumatra vorhanden (zur Architektur von Nias s. beispielsweise: Jerome A. Feldmann: The architecture of Nias, Indonesia with special reference to Bawomataluo village. Ph. D. Columbia University 1977. Alain Viaro: Urbanisme et architecture traditionnels du sud de l'Ăźle de Nias (Etablissements Humains et Environnement Socio-culturel, issue 21). 1980. Achmad Bagoes Poerwono Wiryomartono: Cosmological and spatiotemporal meanings of a traditional dwelling in South Nias, Indonesia. Aachen Techn. Diss. RWTH 1989.

[30] Die Positionierung dieser EingĂ€nge an einer der kurzen Rundseiten der traditionellen HĂ€user ist im Vergleich mit der generellen Situierung des Eingangs an den Langseiten von OvalhĂ€usern völlig unĂŒblich und deutet auf eine nachtrĂ€gliche VerĂ€nderung des Eingangskonzepts hin, also auf das HinzufĂŒgen eines Eingangs mit prominenterem Erscheinungsbild.

[31] Es muss hier allerdings angemerkt werden, dass die Personenzahl im Haushalt einer indonesischen Kleinfamilie doch immer noch um Einiges höher liegt als jene einer europÀischen Kleinfamilie.

[32] FĂŒr die Umfunktionierung von Sopos zu Rumahs siehe Domenig 2003 (vgl. Anm.  [20]). S. 61 ff.

[33] Die Erschließung der traditionellen Sopos erfolgte ĂŒber einen gekerbten Baumstamm durch eine in den Dachraum fĂŒhrende kleine Öffnung und ist in dieser Art fĂŒr einen Wohnbau unbrauchbar.

[34] UrsprĂŒnglich befanden sich die ZugĂ€nge durch die Umwallung der Toba-Siedlungen nur an deren Schmalseiten.

 

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erstellt von Erich Lehner zuletzt verÀndert: 18.11.2019 14:20
Mitwirkende: Lehner, Erich
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