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Call for Papers: archimaera #9: RĂśCKSEITEN
(read this Call for Papers in English)
"Der Mensch geht geradeaus, denn er hat ein Ziel." – Das Zitat von Le Corbusier kennt nur eine Richtung.
Das Ziel liegt vorn – was liegt auf der anderen Seite?
Das Ziel ist das Geplante, die Rückseite ist das Ungeplante, oder das Zuvor-Geplante. Es ist das, was aus dem Blick geraten ist. Die Rückseite ist vielleicht eine Frage der Perspektive des Beobachters, aber sie ist zugleich ein existentieller Zustand. Der Mensch trägt die Rückseite seines Tuns und seines Handelns mit sich wie einen Schatten.
Bei der Betrachtung der Rückseite drängen sich Erfahrungen, Vorstellungen und Bilder aus der Architektur auf: Einkaufszentren, Flughäfen, Behörden, Hotels, Städte und Plätze, Universitätsbauten, und ihre Rückseiten. Auch in der Kunst gibt es Rückseiten, Werke, die sich der Allansichtigkeit verweigern oder Rückansichten bewusst als künstlerische Strategie einsetzen. Jede Seite einer Handschrift hat ein recto und ein verso, Vor- und Rückseite.
– Gibt es Dinge, Orte, die nur Rückseite sind? Gibt es Orte ohne Rückseite?
Das Fehlen von Rückseiten mündet in der Vorstellung vollkommener Allansichtigkeit, Perfektion und Kontrolle, eines totalen Panoptikums – in gewisser Weise ist dies ein unbehagliches Bild. Die Abschaffung der Rückseite wäre ein Projekt, das vielleicht mit der Abschaffung der Dunkelheit vergleichbar ist – Night as Frontier. Colonizing the World after Dark (1987) hat Murray Melbin eines seiner wichtigen technikgeschichtlichen und aufklärungskritischen Bücher benannt. Aufklärung in einem sehr wörtlichen Sinn verstanden als 24stündige Beleuchtung ist eines der Themen in der Stadttechnik des 19. Jahrhunderts. Heute ist dieser Zustand global. Als Nebeneffekt ist der nächtliche Sternenhimmel über den großen Ballungsräumen nicht mehr erkennbar.
Sind Rückseiten in einem Prozess zunehmender Effizienzsteigerung und Kontrolle vielleicht sogar ein zunehmend gefährdetes Phänomen? Was sind die "Rückseiten" einer technisierten, verstädterten, globalen Lebenswelt?
Der Mensch geht geradeaus, denn er hat ein Ziel. – Liest man diesen Gedanken als Fortschrittsprogramm, so gibt es Disziplinen, die sich für das genaue Gegenteil interessieren, die das Vergangene und das Zurückgelassene in den Blick nehmen. In diesem Sinne betreiben Architekturgeschichte und Architekturtheorie eine Betrachtung von Rückseiten der Architektur.
Für die kommende Ausgabe von archimaera lädt die Redaktion zur Auseinandersetzung mit den Rückseiten des Bauens ein. Konkrete Fallstudien, theoretische Reflexionen, architektonische oder gestalterische Fiktionen sowie Beispiele aus Kunst, Literatur und Architekturgeschichte sind willkommen.
In welcher Beziehung stehen Rückseiten in der Architektur zu Repräsentationen und Nicht-Repräsentationen menschlichen Handelns? Sind Rückseiten anthropologisch bestimmt? Wie können Rückseiten architektonisch, künstlerisch oder dramaturgisch verdeutlicht werden? Gibt es Typologien der Rückseite? – Diese und weitere Fragen sind willkommene Ausgangspunkte für theoretische und anschauliche Arbeiten.
Call for Papers als PDF (deutsch/englisch)
Bitte senden Sie Vorschläge für Beiträge in Form eines Abstracts von max. 2.500 Zeichen bzw. einer Arbeitsprobe (max. 3 MB) bis zum 7. Dezember 2019 an folgende Mailadresse:
rueckseiten(at)archimaera.de
Die Auswahl der Beiträge erfolgt bis zum 22. Dezember 2019.
Die ausgewählten Beiträge sind in ausgearbeiteter Form bis zum 22. Februar 2020 einzureichen.
Bitte beachten Sie die formalen Richtlinien von archimaera bei der Gestaltung Ihres Textes.
Fristen:
7. Dezember 2019 (Exposés),
15. Mai 2020 (Beiträge)