angemessenheit
Call for Papers: archimaera #11: ANGEMESSENHEIT
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In der Architektur gilt es, zahlreiche konkurrierende Belange in gröĂtmöglichen Einklang zu bringen. Die Aufgabe und Kunst des Architekten/der Architektin besteht darin, diese gegeneinander abzuwĂ€gen und dabei das richtige MaĂ zu finden. Bei der Platzierung des Bauwerks in einem Kontext mĂŒssen Standortfaktoren wie Klimazone, Topografie, stĂ€dtebauliches, architektonisches und sozial-ökonomisches Umfeld Beachtung finden. Bei der Konzeption des Baukörpers sind Fragen der Ăkonomie und Funktionsverteilung, der Materialwahl, des konstruktiven Aufwandes und der Bestimmung des Ă€sthetischen und reprĂ€sentativen Anspruchs einzubinden.
Seit der Antike ist der Topos und Begriff der âAngemessenheitâ (lat. decorum) Ausdruck fĂŒr die KomplexitĂ€t architektonischen Schaffens. Decorum ist vom lateinischen Verb decere abgeleitet, das doppeldeutig ist. Es bedeutet zugleich âschmĂŒcken, zieren, kleidenâ und âsich geziemen, gehören, schicklich seinâ. Als zentraler SchlĂŒsselbegriff der Architektur thematisiert das decorum die Angemessenheit von Form und Inhalt und setzt damit letztlich die verschiedenen Kategorien und Aufgabenfelder der Architektur â firmitas, utilitas, venustas â in eine Beziehung zueinander.
Auf die Architektur bezogen und definiert wird der Begriff des decorum zuerst von Vitruv. Im Verlauf der Architekturgeschichte macht das Ideal der Angemessenheit einen stetigen Bedeutungswandel durch. In Renaissance und Barock war das decorum die allgemeine Gestaltungsgrundlage der Architektur. Der rhetorisch geschulte Humanist Leon Battista Alberti griff um 1450 den antiken Begriff in De re aedificatoria wieder auf. Serlio ging im 16. Jahrhundert einen Schritt weiter. Er systematisierte und hierarchisierte die fĂŒnf SĂ€ulenordnungen und ordnete ihnen inhaltliche und ikonografische Bestimmungen zu. Unter neuen Vorzeichen und mit einer Wendung, die in die Moderne weist, knĂŒpfte man im 19. Jahrhundert an die Idee der sprechenden Architektur an. Die Form, als âzur Erscheinung gewordene Ideeâ (Semper) sollte nun in Einklang mit Zweck, Konstruktion und Material entstehen und diese auf angemessene Weise zum Ausdruck bringen. Selbst die funktionale Ăsthetik des frĂŒhen 20. Jahrhunderts schlieĂt an das antike Ideal des decorum an. So klingen in Henry Van de Veldes Forderung, dass âder Bau und seine Ă€uĂere Gestalt seinem eigentlichen Zweck und seiner naturgemĂ€Ăen Form vollkommen angemessen seienâ die rhetorischen Tugenden des inneren und Ă€uĂeren decorum an.
Heute drĂ€ngen vor dem Hintergrund des Klimawandels, der Ressourcenknappheit und der Energiekrise neue Belange des Bauens in den Vordergrund, und es ist notwendig, die Frage nach dem decorum neu zu stellen und zu justieren. archimaera lĂ€dt daher zu einer Auseinandersetzung mit dem Topos der Angemessenheit in der Architektur aus architektonischer, architekturhistorischer, architekturtheoretischer und denkmalpflegerischer Sicht ein. Sehr erwĂŒnscht sind neben wissenschaftlichen BeitrĂ€gen auch kĂŒnstlerische Reflexionen und Projekte, die eine neue Perspektive auf das Thema eröffnen: Fehlt der aktuellen Architektur ein Angemessenheitsdiskurs? Falls ja: wie lieĂe sich Angemessenheit zeitgemÀà definieren? Bieten reduktive Strategien wie das âkreative Unterlassenâ oder die Forderung nach einem Abrissmoratorium AnknĂŒpfungspunkte fĂŒr einen neuen Angemessenheitsdiskurs mit der Betonung auf sufficiency (HinlĂ€nglichkeit, ZulĂ€nglichkeit, Auskömmlichkeit)? Kann das Ideal der Angemessenheit einen Beitrag zur Entwicklung einer neuen Ăsthetik der Nachhaltigkeit und des Re-Use leisten? Und inwiefern können wir an die sozialen und ethisch-moralischen Orientierungspunkte anknĂŒpfen, die das Ideal der Angemessenheit beinhaltet, etwa vor dem Hintergrund der Achtung eines angemessenen VerhĂ€ltnisses zwischen privatem und öffentlichem Leben oder einer neuen Architektur der Gemeinschaft? Welche Richtlinien mĂŒssen wir uns â ganz praktisch â auferlegen, um mit vorhandenen Ressourcen angemessen und maĂvoll umzugehen? MĂŒssen diese Richtlinien pauschal wirken oder gibt es gut begrĂŒndete Ausnahmen? Verfolgen wir den Pfad von Hightech-Lösungen oder ist ein zukunftsweisender Lowtech-Gedanke zu entwickeln? Ist es die Architektur oder unser Lebensstil, den wir Ă€ndern mĂŒssen? Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob wir die Architektur bloĂ in technischen Details anpassen mĂŒssen oder ob Architektur unter dem Druck eines âalternativlosenâ Handelns grundsĂ€tzlich anders gedacht werden muss.
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Fristen:
01. MÀrz 2023 (Exposés),
11. Juni 2023 (BeitrÀge)