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Die Inszenierung der Bilder Ephemere Architekturen bei Thomas Demand

  1. M.A. Albert Coers

Zusammenfassungen

In den Arbeiten des Künstlers Thomas Demand sind das Ephemere und das Architektonische eng verzahnt: er baut aufwendige Außen- und Innenräume aus Papier, die ihren temporären Charakter durch materialbedingte Fragilität beweisen, vor allem aber durch die Entscheidung, sie nach der finalen photographischen Aufnahme zu zerstören. Das Ephemere reicht aber auch in die Inszenierung der Bilder bei Ausstellungen hinein. Was als Paragone zwischen der Museumsarchitektur eines Jean Nouvel, Peter Zumthor, Mies van der Rohe und der auszustellenden Kunst beginnt, entwickelt sich zum monumentalen Gesamtkunstwerk, bei dem sich zwischen vorhandener Architektur, Ausstellungsarchitektur und Bildern durch Zitat und mimetischen Eingriff vielfältige Dialoge, aber auch Spannungen ergeben.

Keywords

Zwischen Architektur und Bild

"Wenn irgend etwas Bild werden möchte, so nicht, um anzudauern, sondern um besser verschwinden zu können." (Jean Baudrillard)  [1]

"Ich wollte keine Dinge machen, die mir hinterher im Weg rumstehen."  [2] – so benennt Thomas Demand lakonisch den Ausgangspunkt für seine künstlerische Praxis – eine Haltung, die für die Moderne kennzeichnend ist: das Streben nach Leichtigkeit und Beweglichkeit. In den Arbeiten des deutschen Künstlers (*1964) sind das Ephemere und das Architektonische eng verzahnt: Er baut aufwendige Außen- und Innenräume aus Papier. Diese Bauten, die zwischen Skulptur und Architektur rangieren, werden photographiert. Ihren ephemeren Charakter beweisen sie einmal durch ihre materialbedingte Fragilität, vor allem aber durch die Entscheidung, sie nach der finalen Aufnahme zu zerstören.

Das Ephemere spielt aber nicht nur in Demands Arbeitsprozess eine Rolle, dessen ausstellbares Ergebnis Photographien und Filme sind. Es reicht auch in den Bereich der Inszenierung der Arbeiten selbst im Rahmen von Ausstellungen hinein, ein Aspekt, der immer gewichtiger wird. Jüngstes Beispiel dafür ist sein Auftritt in der Nationalgalerie in Berlin 2009, wo die Bilder mit der aufwendigen Ausstellungsarchitektur aus Vorhängen, Stellwänden und Vitrinen zusammen mit dem Katalog ein monumentales Gesamtkunstwerk ergeben und das häufig Mies van der Rohe zugeschriebene "less is more" Lügen zu strafen scheinen.

Diese und vorhergehende Ausstellungen Demands werfen interessante Fragen nach dem Verhältnis von Kunst und deren Inszenierung auf. Dem Begriff von Ausstellungsarchitektur scheint nach dem Verständnis der Moderne untergeordnete Funktion eingeschrieben, der Aspekt der utilitas ganz im Vordergrund zu stehen. Sie ist selbst keine Kunst, sondern soll deren Präsentation dienen. Sie ist nicht mit dem auszustellenden Objekt identisch, sondern soll gerade durch Neutralität die Differenz zu diesem herausstellen.

Doch es kann auch eine Strategie sein, dieses Verhältnis umzukehren und das Schwergewicht auf die display-features  [3] zu legen ‑ man denke beispielsweise an Duchamps berühmt gewordene Ausstellungsgestaltungen, seine abgehängte Decke aus Kohlensäcken  [4] oder seine Schnur-Verspannung des Ausstellungsraumes in der Surrealisten-Ausstellung von 1942.  [5] Duchamps Schnurgewebe war dominanter Bestandteil der Ausstellung, in der sich deutlich durch Hängung auf neutralen weißen Stellwänden als Kunst deklarierte Tafelbilder befanden, die sich der Inszenierung unterordnen mussten. Konventionell-funktionale Ausstellungsarchitektur gab es also, aber auch diese spannte Duchamp in seine Netzkonstruktion ein. Die Eigendynamik des display-features lässt sich auch daran ablesen, dass Duchamp es durch einen separaten Titel – his twine – als eigene Arbeit auszeichnete. Zuletzt gab es zusammen mit der Ausstellung ein wirkungsvolles Gesamtbild, gerade in der photographischen Reproduktion ab – und so blieb die Ausstellung nicht so sehr wegen ihrer Exponate, sondern primär wegen ihrer display-features im Gedächtnis.

Derartige raumbezogene und häufig das Publikum integrierende Eingriffe sind für die zeitgenössische künstlerische Praxis selbstverständlich – man denke etwa an bildhauerisch-installativ agierende Künstler wie Gregor Schneider oder Rachel Whiteread. Doch sind sie dort bereits die Ausstellung selbst, nicht ein noch zur Ausstellung Hinzutretendes. Die meisten in zweidimensionalen Medien arbeitenden Künstler gehen dagegen bei Präsentationen nicht über konventionelle display-features hinaus, da sie ihren Bildern keine Konkurrenz an die Seite stellen wollen. Der häufigste Ausstellungsraum für "Bilder" ist nach wie vor der White Cube, in dem dank geringer Interferenzen mit der Umgebung die Konzentration auf das freigestellte Bildobjekt am besten gewährleistet scheint.

Demand bedient sich des Mediums der Photographie, arbeitet jedoch eigentlich plastisch. Das Springen zwischen zwei- und dreidimensionaler Ebene gehört nicht nur bei der Erstellung der Bilder zum Kern der Arbeiten, sondern erstreckt sich auch bei deren Präsentation. Das dreidimensionale Bauen und Konstruieren als Produktionsverfahren liegt bei Demand als Selbstreferenz nahe. Er hebelt den Gegensatz der Ebenen und der Gattungen aus, steht damit zwischen den beschriebenen Positionen. Es lassen sich zwei Bezugssysteme ausmachen: einmal die Architektur des Ausstellungsorts, dann die virtuelle der Bilder.

Paragone: Museumsarchitektur ‑ Kunst ‑ Ausstellungsarchitektur

Duchamps Schnur-Installation lässt sich lesen als Intervention aufgrund der „als völlig ungeeignet empfundenen Umgebung“  [6] der historistischen Ausstellungsräume. Daran anknüpfend wären auch Demands Ausstellungsarchitekturen ein Beitrag zum alten Paragone Architektur-Kunst, eine Antwort auf Architekturen, die nicht dem White Cube entsprechen, weil sie –ähnlich wie bei Duchamp – als historische Bauten vor dessen Etablierung liegen oder danach bzw. außerhalb: Bauten der (Post-)Moderne, deren Selbstbewusstsein sich nicht als nur als dienend begreift, sondern ihren ästhetischen Eigenwert betont. Die Emanzipation der Architektur von funktionalen Vorgaben erfordert eine Reaktion seitens der Kunst, die sich ihrerseits gegenüber Vorgaben - im Dienste der Architektur - emanzipiert hatte. Allerdings, und das macht das Verhältnis noch komplexer, steht die Kunst wiederum im Spannungsverhältnis zur eigentlich zu ihrer Unterstützung generierten Ausstellungsarchitektur.

Museumsarchitektur fordert natürlich nicht immer eine eigene Ausstellungsarchitektur heraus. So hängt Demand seine Bilder in manchen, vor allem früheren Ausstellungen durchaus konventionell, so beispielsweise im Lenbachhaus München, 2002, oder im MoMa, 2005. Doch bereits dort integriert Demand vorhandene Raumelemente. Im Lenbachhaus zeigt Demand seinen Film Tunnel, in dem Pfeiler eines Straßentunnels vorkommen, genau neben einem im Raum stehenden Pfeiler. Fiktive und reale Ebene verschränken sich.

Demand beschreibt den Ausgangspunkt für seine Ausstellungsarchitekturen ähnlich pragmatisch wie die Motivation zu seinen Photoarbeiten: "Angefangen hat es damit, dass man in einem Raum steht, in dem man einfach keine herkömmliche Ausstellung machen kann. Und auch keine machen möchte."  [7] Demand bezieht sich auf seine Ausstellung (2000) in der von Jean Nouvel entworfenen Fondation Cartier in Paris. Das Hauptmerkmal des Gebäudes ist die Glasfassade, durch die sich der Außenraum mit seinem Baumbestand und Innenraum verschränken - eines der großen Themen der Architektur der Moderne, siehe z.B. auch Mies' Nationalgalerie in Berlin. "For a contemporary art museum, however, it is hard to conceive of a less suitable design" kritisiert ein Besucher das Gebäude, als er bei einem Besuch durch die Glasfassade die Rückseite von temporärer Ausstellungsarchitektur sieht, wie sie für eine damalige Ausstellung filmischer Arbeiten eingebaut wurde, Stellwände aus Gipskarton und Kabel. "The resulting front facade could perhaps be described as undressed, but only to reveal some rather unsightly underwear"  [8] . Auch wenn man berücksichtigt, dass es sich nicht um einen reinen Museumsbau handelt, sondern um einen Komplex aus Büros, Empfangs- und Ausstellungsräumen ‑ die Ästhetik hat gegenüber den Belangen der Ausstellungspraxis deutlich die Oberhand. Räume mit geschlossenen Wandflächen sind ähnlich wie in der Nationalgalerie Berlin nur im Souterraingeschoss zu finden – wo ausgestellte Objekte allerdings von außen nicht mehr sichtbar sind und weniger Aufmerksamkeit erfahren.

Demands Taktik besteht darin, die display-features als Bestandteil der Ausstellung aufzufassen und sich reflektiert auf die vorhandene Architektur zu beziehen. Ein Studium dieser Architektur geht dem voraus. Es sind jedoch nicht nur formale Ãœberlegungen, sondern auch konzeptionelle: Bekommt Ausstellungsarchitektur, vom Künstler selbst entworfen, nicht vor dem eigentlich Ausgestellten Werkcharakter? Um dem Dilemma zu entgehen und zugleich technisch-praktische Arbeiten an Spezialisten zu delegieren, führt Demand eine neue Ebene der Autorschaft ein: Er wendet sich an ein Architekturbüro, das für die Ausstellungsarchitektur verantwortlich zeichnet und auch nach außen hin, in Öffentlichkeitsarbeit und im Katalog - deutlich als Co-Autor genannt wird. Für die Ausstellung in der Fondation Cartier fällt seine Wahl auf das Londoner Büro Caruso/St John – mit dem er auch bei weiteren Projekten zusammenarbeitet.

 

Abb. 1, 2. Ausstellung Thomas Demand, Fondation Cartier pour le art contemporain, Paris 24.11.2000 – 4.2.2001. Installationsansicht. Photos: André Morin © Thomas Demand VG Bild-Kunst, Bonn.

Caruso/St John entwerfen ein System von Wänden, das den Innenraum unterteilt und Hängefläche für die Bilder bereitstellt, dabei quer zur Längsachse des Gebäudes verläuft, so den Blick von außen nach innen nicht verstellt. Das Hauptmerkmal der Nouvelschen Architektur – Transparenz - bleibt erhalten. Jedoch sind paragonale Elemente nicht ausgeblendet: Das Wandsystem ist kein untergeordnetes Provisorium wie beispielsweise die Stellwände der Surrealisten-Ausstellung, sondern eigenständiges Element. Es ist über das rein Funktionale bis zur Decke hochgezogen, teilt so einzelne Raumsegmente deutlich ab. Gegenüber dem durch Fußbodenplatten und Deckenkassettierung vorgegebenen Raster sind die Wände leicht versetzt, die Türen in den Stellwänden folgen einer immanenten, auf die Disposition der Bilder bezogenen Anordnung. Die Autonomie der eingebauten Architektur wird am nachdrücklichsten betont durch ihre Farben. Sie ist nicht neutral-weiß gestrichen, wie es die konventionelle Ausstellungspraxis vorgibt, sondern mit farbigen Tapeten beklebt – eine Pointe, die im englischen Begriff Wallpaper noch deutlicher wird. Damit ist auf das Ausgangsmaterial der aus Papier bestehenden Environments verwiesen, die auf den Photos abgebildet sind. Die ephemere Architektur der Bilder ist so gleichsam außerhalb in den Wänden fortgesetzt. Mittels der Wallpapers lässt sich wiederum Bezug auf die vorhandene Architektur nehmen, ohne dass dies durch die Bilder selbst geschehen müsste – sie bekommen eine Vermittlerfunktion zwischen der Architektur und den Bildern, stellen eine Beziehung her, wie sie die Moderne durch größtmögliche Neutralität des Ausstellungsraumes gerade auflösen wollte.

Die Tapeten nutzen die Transparenz des Gebäudes und leuchten nach außen. Durch ihre Höhe werden die Wände zu riesigen farbigen Reflektoren. Der Faktor Zeit und die Wirkung auf den Betrachter sind Teil des Farbkonzepts: Die Autofahrer der stark befahrenen Straße vor der Fondation sollen morgens eher gedeckte Farben in Blau und Pastelltönen sehen, abends, von der anderen Seite kommend, kräftige, durch die Abendbeleuchtung nochmals gesteigerte.

Dieser Einbezug des Umfeldes hat etwas Stadtplanerisches, erinnert an die Visionen der Architektur der Moderne von der Durchgestaltung der Städte auch durch das Mittel der Farbe. Die Wallpapers ihrerseits sind aber auch selbstreferentiell auf Architektur bezogen: Es sind Nachdrucke von monochromen Tapeten, wie sie Le Corbusier entwarf,  [9] der Bezugspunkt von Jean Nouvel. Und die Konzeption von je nach Tageszeit unterschiedlichen Situationen erinnert ebenfalls an Le Corbusier – siehe die Dopplung seines Wohnhauses in der Weißenhof-Siedlung Stuttgart 1927, um einen Tages- und einen Nachtzustand wie im Reisezug vorführen zu können.

"We have ended up working with three generations of architects with interpenetrating universes"  [10] kommentiert Demand dieses Spiel mit Zitaten und Bezugnahmen. Erstaunlich ist die Einordnung der eigenen künstlerischen Arbeiten in den Zusammenhang der temporären Architektur: es ergibt sich ein Spannungsverhältnis zwischen Bildern und Tapeten, die "harte, zum Teil für die Photos problematische Farben"  [11] haben. Diese Reibung, für den Betrachter zum Teil befremdlich, ist einkalkuliert. Dadurch wird das Konzept einer Positionierung jeweils eigenwertiger Elemente unterstrichen – ausgestellte Kunst, temporäre Ausstellungsarchitektur, vorhandene Museumsarchitektur. Die Wahrnehmungsbedingungen von Kunst werden in der Ausstellung selbst zum Thema.

Mimesis und Illusion

Ein ähnlicher Wettstreit zwischen Museumsarchitektur und Kunst mit den Mitteln der Ausstellungsarchitektur entsteht bei Demands Ausstellung im Kunsthaus Bregenz 2004. Allerdings sind hier die Bedingungen für eine konventionelle Ausstellung durchaus gegeben: der Bau Peter Zumthors verfügt über genügend geschlossene Wandfläche. Doch Demand bespielt nicht nur diese mit seinen Bildern: im ersten Stock werden zwei 12 bzw. 9 m lange Betonwände von der Decke so abgehängt, dass sie knapp über dem Boden schweben und, gegeneinander und gegen die Außenwände gestellt, einen Raum im Raum bilden. Auf diesen Wänden sind wie in der Fondation Cartier Tapeten aufgebracht, aber diesmal mit Motiven aus Demands eigenen Bildern, Lichtung und Fassade.

Die Ausstellungsarchitektur ist hier weniger pragmatisch motiviert, sondern aus dem Selbstbehauptungstrieb einer Architektur gegenüber, die ihrerseits selbstbewusst und mit starker Identität auftritt. Einen theatralischen Gestus, durchaus zur Festspielstadt Bregenz passend, stellt Demand als ein Merkmal des Baus heraus: die Anlage des Baukörpers mit Erdgeschoß und drei Stockwerken, einem Dreiakter ähnlich, die betonte Leichtigkeit der lichtdurchfluteten transparenten Decken im Gegensatz zu den Wänden aus schwerem unverputztem Sichtbeton. Deren Materialität imitiert Demand durch die schwebenden Wände, ihre paradoxe Leichtigkeit spielt übersteigernd mit der demonstrativen Leichtigkeit des Zumthor-Baus. Durch die Abhängung bekommen die Wände etwas Kulissenhaftes, die riesigen Phototapeten erscheinen wie illusionistische Szenenbilder einer Bühne.

Abb. 3. Thomas Demand Phototrophy. Kunsthaus Bregenz, 18.09. - 07.11.2004. Ausstellungsansicht 1. Obergeschoß. Photo: Nic Tenwiggenhorn © Thomas Demand/VBK, Wien, 2004, Kunsthaus Bregenz, Nic Tenwiggenhorn/VBK, Wien, 2004.

Ähnlich wie bei den Tapeten mit Bezug auf Le Corbusier fehlt auch hier nicht eine subtile Anspielung auf die Architekturikonen der Moderne: Im Raum schwebende Wände hatte Mies van der Rohe für ein Auditorium im Museum for a Small City entworfen sowie als möglichen Hintergrund für die Kunstwerke und um die Verschränkung von Innen- und Außenraum zu simulieren, einen Ausschnitt aus einem Waldstück im Entwurf eincollagiert.

Auf beides, die Idee der abgehängten Wand und die des Waldstücks als Motiv, nimmt Demand mit seiner Photoarbeit Lichtung Bezug.  [12] Die Ausstellungsarchitektur mit dem Bildmotiv ist damit auch die Umsetzung einer Bildvorlage – analog zum Verfahren, das Demand bei der Auswahl seiner Motive sonst meist verfolgt.

Die Abhängung von der Decke lässt sich auch auf ein anders Gebäude von Mies beziehen, die Nationalgalerie in Berlin:

“The hall itself […] is not without problems. Paintings have often been hung there on panels suspended from the ceiling [...], a device more theoretically than practically impressive in the Berlin building, since both panels and the objects mounted on them tend to be crushed in the immensity of the sourrounding space. The hall is most effective as an exhibition area when the artworks shown in it are themselves of very large dimensions.”  [13]

Demand scheint der Beobachtung, die hier für die Nationalgalerie angestellt wird, bereits mit seinen Arbeiten im Kunsthaus Bregenz Rechnung zu tragen: Er vergrößert seine Bilder auf bisher ungekannte Dimensionen, die den Räumen Paroli bieten. Die Photoarbeit Lichtung von 2003, die ca. 2 x 5 m misst, ist per Offset-Druck auf einzelne Plakatpapiere gedruckt, die zusammengesetzt eine Bildfläche von über 3 x 9 m ergeben; bei der Arbeit Fassade von 2004 fällt der Vergrößerungsfaktor noch höher aus. Das Unwirklich-Theaterhafte sowie die Referenz auf das Thema „Architektur“ ist durch die Auswahl der Motive unterstrichen: Fassade zitiert das Äußerlich-Oberflächige von Architektur – die Wiederholung von vorgefertigten Elementen erinnert an Kunst-am-Bau-Fassaden der 60er Jahre.

Abb. 4. Thomas Demand Phototrophy. Ausstellungsansicht 1. Obergeschoß. Photo: Nic Tenwiggenhorn © Thomas Demand/VBK, Wien, 2004, Kunsthaus Bregenz, Nic Tenwiggenhorn/VBK, Wien, 2004.

Das Bühnenhaft-Theatralische ist durch eine weitere temporäre Architektur betont: im Erdgeschoß des Kunsthauses, also gleich als Auftakt, zeigt Demand seinen Film Trick. Die Projektion findet in einem eigens abgetrennten Raum statt, aber nicht in einer Black Box, sondern mittels Vorhängen, die, ähnlich wie die Wände im darüberliegenden Stockwerk, von der Decke abgehängt sind. Die zeitliche Begrenztheit der Filmsequenz wird durch eine raffinierte Bewegung der Vorhänge unterstrichen: auf elliptisch-spiralförmig laufenden Schienen bewegen sich zwei Vorhänge so gegeneinander versetzt, dass sie einen ovalen Raum bilden. Dessen Geschlossenheit ist jedoch nur zeitweilig und auf die Laufdauer des Films berechnet, dann entfernen sich die Teilstücke wieder voneinander. Lichtsituation und Raumgefüge sind so in ständiger Veränderung.

Abb. 5,6. Thomas Demand Phototrophy. Ausstellungsansicht Foyer. Photo: Nic Tenwiggenhorn © Thomas Demand/VBK, Wien, 2004, Kunsthaus Bregenz, Nic Tenwiggenhorn/VBK, Wien, 2004.

Diese Vorhänge nehmen wiederum auf die Architektur Bezug: auf die Museums- und die Ausstellungsarchitektur mit ihren abgehängten Wänden, gleichsam als wörtliche Auslegung des Begriffs Curtain Wall. Dann steckt auch hier ein Mies-Zitat: Lange, bis zum Boden reichende Vorhänge bildeten Raumteiler für das Café Samt und Seide, das Mies zusammen mit Lilly Reich für die Ausstellung Die Mode der Dame 1927 in Berlin entworfen hatte ‑ dort bedingte der Ausstellungsanlass das Material. Auch der kurvenförmige Verlauf der Vorhänge bei Demand ist dort bereits vorgezeichnet.

Der Vorhang trennt realen und fiktionalen Raum: er erinnert an Vorhänge im Theater oder eben im Kino, die vor Beginn der Vorstellung beiseite gezogen werden. Das Ephemere der Vorhangarchitektur spielt zusammen mit dem gezeigten Kurzfilm, aber auch mit der kurzen Lebensdauer von Demands dem Film zugrunde liegenden Papiermodellen.

Ausweitung des Bildraums

Diese zweifache Stoßrichtung der Ausstellungsarchitektur – einmal auf die Museumsarchitektur bezogen, einmal auf die ausgestellten Arbeiten, zeigt sich auch in der Ausstellung Thomas Demands in der Serpentine Gallery 2005. Der selbstreflexive Anteil scheint dabei stärker geworden. Auf eine räumlich-konstruktive Veränderung des vorhandenen Raumes durch Einbauten verzichtet Demand ganz, der Paragone mit der Galeriearchitektur spielt keine Rolle – es handelt sich diesmal um keine grandiose Museumsarchitektur der Moderne, sondern um einen von den Dimension und Anspruch her vergleichsweise bescheidenen neoklassizistischen, in einem Londoner Park gelegenen Gartenpavillon aus dem Jahr 1934, der seit den 70er Jahren als Galerie genutzt wird – mit weißen Wänden.

Abb. 7. Ausstellung Thomas Demand Serpentine Gallery, London 2006. Installationsansicht. Photo Nic Tenwiggenhorn © Thomas Demand © Nic Tenwiggenhorn.

Demand setzt die Ausweitung des Bildraumes fort, die mit den Le Corbusier Tapeten begonnen hatte. Wie in der Kunsthalle Bregenz sind es eigene Bildmotive, zu wandfüllenden Tapeten erweitert: Zum Ornament stilisierte Efeublätter, entnommen dem ersten Bild des ausgestellten Zyklus Klause, das ein von Efeu überwuchertes Haus zeigte. Das Abgebildete setzte sich als Selbstzitat über das Bild hinaus auf der Wand fort. Von diesem Motiv existieren vier Farbvarianten, von dunkelblau über hellgrün bis grau-weiß, die in der Ausstellung als Hintergründe einzelne Bildgruppen und Räume definieren. Ähnlich wie die Le-Corbusier-Tapeten sind sie über unterschiedliche Helligkeitsstufen auch mit einer Tageszeiten-Analogie verknüpft. Motivisch verschränkte sich der Efeu mit ausgestellten Bildern, mit Architektur und Außenraum. So ist Grotte, 2005, von Efeu gleichsam eingewachsen. Kann man die Bildtapete mit dem Außenbewuchs der Höhle assoziieren, so funktioniert dies auch auf den Pavillon als Ganzes bezogen: die Natur des umgebenden Parks ist mit den Efeublättern stellvertretend in den Innenraum geholt – dies ja auch ein Anliegen der Tapete Lichtung im Kunsthaus Bregenz.

Abb. 8. Ausstellung Thomas Demand Serpentine Gallery, London 2006. Installationsansicht. Photo Nic Tenwiggenhorn © Thomas Demand © Nic Tenwiggenhorn.

Im Raum mit hohen Fenstern zum Garten, der mit einer hellgrünen Tapete ausgekleidet ist, wird dies besonders deutlich. Diese Verschränkung von Innen und Außen, von Kunst und Natur lässt sich anbinden an die weit zurückreichende Tradition von Tapeten oder illusionistischen Malereien in Villen und Gartenpavillons. Demands Efeumotiv hat ein stark bildreflexives Moment, nimmt aber auch auf die vorhandene Architektur Bezug, die vor der Nutzung als Museum privater Wohnraum war. Wie bei den Le Corbusier-Tapeten, so ist auch hier die Faktur der Tapeten Zitat: in ihrer Haptik und Reduzierung auf flächige Ornamentformen spielt sie an auf die Tapeten der englischen Arts-and-Crafts-Bewegung. Durch die Einbeziehung des Tapetenherstellers als Co-Autor führt Demand das Konzept der Aufteilung der Autorenschaft der Ausstellung fort.

Dialog und Distanzierung

Mit dem Revival der gemustert-ornamentierten Bildtapete als Bildhintergrund bricht Demand mit einer Konvention der Moderne und stellt seine eigenen Bilder in ein neues Bezugssystem. Noch interessanter wird es da, wo Demand mit der Efeutapete nicht eigene Bilder konfrontiert, sondern die eines Klassikers der Malerei der Moderne, gerade der Zeit, in der sich eine reduziert-nüchterne Ästhetik für Ausstellungsräume durchsetzte. 2006 lässt das Lenbachhaus München die dem Blauen Reiter gewidmeten Ausstellungsräume von zeitgenössischen Künstlern neu gestalten, um einen Dialog von Künstlern und Ästhetiken über Zeitgrenzen hinweg in Gang zu bringen – nachdem die Arbeiten auch schon vor farbig-monochromen Wänden gezeigt worden waren. Demand inszeniert mit Tapetenhintergrund die Bilder von August Macke.

Abb. 9. Der Blaue Reiter im 21. Jahrhundert, Lenbachhaus München, 2006-2009. Installationsansicht. Photo: Städtische Galerie im Lenbachhaus © Thomas Demand.

Dabei kann er sich wie in der Serpentine Gallery auf die frühere Funktion der Galerie als privater Wohnraum berufen, gleichzeitig bietet die Bildtapete einen weiten Assoziationsraum: Formal lässt sich Mackes Geometrisierung der Formen mit dem ebenfalls stilisierten Efeu-Muster in Verbindung bringen, ikonographisch der Efeu als Friedhofspflanze mit Mackes frühem Tod.  [14] Bei vielen Besuchern stößt die unruhige Tapete jedoch auf Unverständnis. Die Kontroverse findet ihren Niederschlag auch in einem Tapetenwechsel: Demand tauscht die dunkelblau-düstere Version aus gegen eine schwarz-weiße, die zurückhaltender wirkt und den Sehgewohnheiten eher entgegenkommt.

Bei seiner großen Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin 2009 mischt Demand verschiedene Konzepte der Ausstellungsarchitektur: Wie im Kunsthaus Bregenz gibt es Wände, die auch diesmal mimetisch funktionieren. Verkleidet sind sie mit Bildtapeten, welche die Holzmaserung der vorhandenen Wände kopieren; die offenen Seitenränder legen jedoch den Charakter der Wände als Attrappen aus Pappe offen. Damit sind die Demandschen Themen Mimesis – durch Papier – und Illusion wiederum auch in der Ausstellungsarchitektur präsent. Teilweise ergeben sich auch Korrespondenzen zwischen diesen Hintergründen und den Bildern, etwa bei Rasen, wo mit Bild und Holzmasertapete zweimal vorgebliche, domestizierte „Natur“ zu sehen ist.

Abb. 10. Ausstellung Thomas Demand Nationalgalerie Neue Nationalgalerie Berlin, 18.09. 2009 – 17.1.2010. Installationsansicht. Photo: Nic Tenwiggenhorn © Thomas Demand, VG Bild-Kunst, Bonn. © Nic Tenwiggenhorn.

Das Hauptelement der Ausstellungsarchitektur sind jedoch Vorhänge. Damit wird Mies van der Rohe in seinem eigenen Gebäude zitiert – siehe die erwähnten Vorhänge für das Berliner Café Samt und Seide, aber auch die leichten Stores, die in der Nationalgalerie nach ihrer Eröffnung 1968 bei Ausstellungen Bilder vor direkter Sonne schützen sollten. Demands Eingriff ist aber ein sehr massiver: Die große Glashalle ist mit schweren und langen Wollvorhängen in dunklen Grau- und Brauntönen – wiederum in Zusammenarbeit mit Caruso/St John – mehrfach unterteilt und in eine labyrinthische Abfolge größerer und kleinerer Räume gebracht, deren Höhe variiert – Thomas Demands bisher aufwendigste Ausstellungsarchitektur. Sie entfaltet eine starke Eigendynamik. Der Eleganz, Leichtigkeit und Offenheit des Baues ist Schwere und Geschlossenheit, der dominierenden Horizontalen des wuchtigen Daches die Vertikale, der Geradlinigkeit und Härte der Stahlträger die ondulierende Weichheit der Vorhänge gegenübergestellt. Die Transparenz, wie in der Fondation Cartier das Hauptmerkmal der bestehenden Architektur, ist stark eingeschränkt – anders als in Paris, wo die Einbauten nicht parallel, sondern rechtwinklig zu den Glaswänden standen. Allerdings schließt die Vorhangarchitektur den außen stehenden Betrachter nicht völlig aus, sondern spielte mit den Möglichkeiten der Ver- und Enthüllung. So sind zwischen äußerer Vorhangreihe und Glaswand Gänge freigelassen und davor, von außen gut einsehbar, einige Arbeiten gehängt. Auch bieten breite Lücken im Vorhangsystem durchaus Einblick in den Innenraum.

Mit den Vorhängen und den Stellwänden ist das Kulissenhafte der Inszenierung wiederum spürbar. Die Schwere der Wollstoffe, von Haptik und Farbe her an Filz erinnernd, die strengen säulenartigen Falten, ergeben eine zwischen Geborgenheit und Eingeschlossensein, zwischen „Gemütlichkeit“ und Muffigkeit, soignierter Eleganz und Biederkeit changierende Atmosphäre, die auf das Thema der Ausstellung und die Bildauswahl abgestimmt ist: Es geht um Deutschland, vor allem um das bundesrepublikanische der Nachkriegszeit. Durch das Theatralische der Inszenierung ist das Pathos der Architektur und des Ausstellungstitels Nationalgalerie entschärft und ironisiert.

Vermittelnde und distanzierende Funktion zugleich haben auch die Vitrinen mit Ausstellungskatalogen, in denen jeweils den Bildern zugeordnete Texte des Schriftstellers Botho Strauß aufgeschlagen sind. Auch jenseits der Texte entspinnt sich zwischen Vitrinen und Bildern manchmal ein Dialog – so sind die Atelierböcke, die in Model (2000) als Stütze für eine Tischplatte und das darauf stehende Architekturmodell dienen, den Vitrinen ziemlich ähnlich. Zu dieser Formassoziation tragen die leicht schräg nach außen gestellten Füße und die Querstangen an den Füßen bei. Die Vitrine selbst lässt sich modellhaft auf die Architektur der Nationalgalerie beziehen: ein transparenter, erhöht stehender Glaskasten.

Abb. 11. Ausstellung Thomas Demand: Nationalgalerie Neue Nationalgalerie Berlin, 18.09.2009–17.1.2010. Installationsansicht. Photo: Nic Tenwiggenhorn © Thomas Demand, VG Bild-Kunst, Bonn. © Nic Tenwiggenhorn.

Gleichzeitig schaffen die Vitrinen eine Distanz zu den begleitenden Texten, die durch konventionelle Anbringung an der Wand nicht so klar wäre: Während die Bilder an der Wand hängen, liegen die Texte in der autonomen Buchform im abgeschlossen Raum der Vitrinen – die noch dazu mit deutlichem Abstand zu den Bildern, teilweise frei skulptural im Raum aufgestellt sind.

Insgesamt dient die Inszenierung der Bilder einer mehrfachen Distanzierung gegenüber der vorhandenen Architektur, den beigefügten Texten und auch dem Konzept der Ausstellung selbst. Durch die temporäre Ausstellungsarchitektur ist der Dialog zwischen Ausstellungsbedingungen und dem Ausgestellten um eine Ebene erweitert. Was als Paragone zwischen Architektur und Kunst begann, hat sich zum Gesamtkunstwerk ausgeweitet – das seinerseits wieder zum Bild wird.



[1] Jean Baudrillard: Fotografien, 1985-1998. Ausstellung Neue Galerie Graz, 9.1.-14.2.1999. Hg. von Peter Weibel. Ostfildern-Ruit 1999, S. 21.

[2] Thomas Demand /H ans Ulrich Obrist: Thomas Demand. The Conversation Series N.10. Köln 2007, S. 10.

[3] Im Weiteren wird für Ausstellungsarchitektur synonym der weiter gefasste Begriff des display-features verwendet, womit alles bezeichnet sein soll, was zur räumlichen Präsentation einer Ausstellung gehört.

[4] Exposition Internationale du Surréalisme, Galerie des Beaux Arts Paris 1938.

[5] Zur genaueren Analyse der Raumsituation und der Rolle der Photos vgl. John Vick: "A New Look: Marcel Duchamp, his twine, and the 1942 First Papers of Surrealism Exhibition." In: Toutfait. The Marcel Ducamp Studies Online Journal. URL: < http://www.toutfait.com/online_journal_details.php?postid=47245&keyword > [20.09.09].

[6] Thomas Schriefers: Ausstellungsarchitektur. Geschichte, wiederkehrende Themen, Strategien. Bramsche 2004, S. 123.

[7] Demand / Obrist 2007, vgl. Anm. 2, S. 64.

[8] Simon Glynn, Fondation Cartier Paris, Jean Nouvel, Emanuel Cattani 1994, 2001. URL:< http://www.galinsky.com/buildings/cartier/index.htm>[06.09.09].

[9] Le Corbusiers Musterbücher sind neu ediert: Arthur Rüegg (Hg.): Polychromie architecturale: Le Corbusiers Farbenklaviaturen von 1931 und 1959. Basel u.a. 1997.

[10] Thomas Demand / Hervé Chandès (Hg.): Thomas Demand at the Fondation Cartier. Ausstellung 24.11.2000–4.2.2001. Paris 2000, S. 61.

[11] Demand / Obrist, 2007, vgl. Anm. 2, S. 70.

[12] Demand / Obrist, 2007, vgl. Anm. 2, S. 74.

[13] Franz Schulze in: Franz Schulze (Hg.): The Mies van der Rohe Archive of the Museum of Modern Art. New York, London 1992, XIX, S. 151.

[14] „Thomas Demands sehr kleinteilige Wandtapete […] ist gelinde gesagt etwas gewöhnungsbedürftig […]. Seltsamerweise lernt man beim wiederholten Begutachten des Raums, das unruhige Muster als Trauerflor zu schätzen. Demand möchte den viel zu frühen Tod des im Zweiten Weltkrieg gefallenen August Macke mitreflektiert wissen.“ Birgit Sonna in: Neue Züricher Zeitung 5. Oktober 2006. URL:< http://www.nzz.ch/2006/10/05/fe/articleEIGML.html > [05.09.09].

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erstellt von Albert Coers zuletzt verändert: 18.11.2019 13:20
Mitwirkende: Coers, Albert
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