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Einfügen als Kulturtechnik

Die Architektur Wang Shus und Lu Wenyus

  1. Dr. Sandra Schramke
  2. Prof. Dr. phil. Wolfgang Bock

Zusammenfassung

Der Architekt und Pritzker-Preisträger von 2012 Wang Shu und seine Frau Lu Wenyu setzen traditionelle chinesische Baukultur neu um. Das kommt insbesondere im Fügen alter und neuer Materialien nach tradierten Handwerksregeln zum Ausdruck. Das theoretische wie praktische Interesse am lokalen Handwerk führen sie unter anderem auf die Beschäftigung mit den chinesischen Literati zurück. Auf diese Weise widersetzen sie sich der heute vorherrschenden Ökonomie im chinesischen Baugewerbe. Sie aktualisieren nicht nur das traditionelle chinesische Handwerk, sondern setzen sich auch für eine Nachhaltigkeit ein, in welcher die zeitliche Entwicklung im Zusammenhang mit bestimmten Erfahrungsräumen gesehen wird. Mittels Improvisationen und Handwerk lassen Wang Shu und Lu Wenyu die alten kulturellen Traditionen mit spezifischen Ästhetiken in einem neuen Licht einer anderen gegenwärtigen Moderne wieder aufscheinen.

Keywords

 

China ist ein Land im Umbruch. Die Modernisierung im westlichen Sinne schreitet in immer größeren Schritten voran. Am Beispiel des Einsatzes von Material im Werk der chinesischen Architekten und Pritzer-Preisträgers von 2012, Wang Shu und Lu Wenyu (Amateur Architecture Studio), soll im Folgenden dargelegt werden, wie diese Architekten mit aktuellen Tendenzen und Moden im Baugewerbe brechen, um ihre Kultur unter besonderen Schutz zu stellen. Auf diese Weise interpretieren sie die traditionelle chinesische Baukultur neu. Dies kommt insbesondere im Fügen alter und neuer Materialien zum Ausdruck. Nach tradierten Handwerksregeln, die auch den besonderen Umgang mit Zufallsprinzipien einschließen, führt das Architektenpaar alte Materialien in neue Kontexte ein. So verwenden sie beispielsweise gebrauchte Ziegelsteine aus einem zum Abriss freigegebenen Gebäude in einem Neubau als Dachziegel oder in Mauerverbänden. Für die Dächer auf dem Xiangshan-Campus (2002–2007) der Kunstakademie von Hangzhou verbauten die Architekten mehr als zwei Millionen solcher recycelter Steine aus abgerissenen traditionellen Häusern der Provinz. Auch das Historische Museum in Ningbo wurde 2003–2008 von ihnen nahezu vollständig aus dem Bauschutt der Häuser aus dreißig abgerissenen Dörfern errichtet. [1]

Andere Zeiterfahrungen

Das Fügen alter und neuer Materialien wird in der Architektur Wang Shus und Lu Wenyus nicht allein aus ökonomischen Gründen vorgenommen. Es ist vielmehr in einer Tradition zu sehen, die sich über den Umweg einer Ästhetik der visuellen Brüche für den praktischen Umgang mit einer Erinnerung auch in der Alltagskultur interessiert. Diese Brüche sind einer Nachhaltigkeit verpflichtet, die zeitliche Entwicklungen mit bestimmten Erfahrungsräumen in Zusammenhang bringt. Wang Shu kann sich dabei auf seine eigenen Erfahrungen stützen: Von seinem Vater inspiriert, entwickelte er früh ein, wenn man so sagen darf, sinnliches Interesse für das Handwerk. Nach Abschluss seines Architekturstudiums arbeitete er zehn Jahre lang in verschiedenen Handwerksbetrieben und auf unterschiedlichen Baustellen im ganzen Land. 1997 gründete er zusammen mit seiner Frau, der Architektin Lu Wenyu, die sich ebenfalls für die traditionelle Baukultur begeisterte, das gemeinsame Büro. [2] Ihr gemeinsames Interesse an lokalen Handwerkstätigkeiten wurde auf diese Weise zum Ausgangspunkt ihrer architektonischen Praxis.

Mithilfe des Einsatzes von recyceltem Bauschutt geben sie eigene Antworten auf die in der aktuellen chinesischen Architektur und Stadtplanung vorherrschenden Ãœberbietungsstrategien zum Zwecke der Aufmerksamkeitslenkung. Das Zusammenbringen von bereits benutzten und von neuen Materialien folgt dabei nicht etwa einer Suche nach neuen Musterlösungen für Herstellungstechniken oder Erscheinungsbilder. Die Architekten setzen damit vielmehr auf die Faszination so genannter loser Zufallsfügungen anstelle von fest vorgeschriebenen Musterbildungen. (Abb. 1) In ihrer Betonung der offenen Fugen, deren Kennzeichen gerade im weitgehenden Verzicht auf feste Verbindungen durch Fugenmaterial wie Mörtel liegt, überhöhen sie dieses Prinzip auf symbolische Weise. Sie unterwerfen damit die Fuge den physikalischen Eigenschaften des Materials und dem Auswahlprozess des Arbeiters, während sie zugleich im Resultat die Architektur als Zeichenkunst in den Mittelpunkt stellen. Die offene Fuge unterstreicht dann den Reliefcharakter der Wand und bringt die Architektur an der Grenze zwischen Zeichen- und Raumkunst in besonderer Form zum Ausdruck. [3] Dabei knüpft die handwerkliche Ausführung der Fuge an eine allgemeine chinesische Tradition der Eleganz an. Diese soll im folgenden mit Bezug auf Poesie, Malerei, Kalligrafie und Literatur näher betrachtet werden. [4]

Abb. 1. Wang Shu und Lu Wenyu, Historisches Museum in Ningbo, Foto: Iwan Baan.

Die chinesischen Literati

Wang Shu und Lu Wenyu führen ihr Interesse am lokalen Handwerk unter anderem auf die Beschäftigung mit der Welt der traditionellen chinesischen Literati zurück, die im Kulturvergleich als Ausnahmefall ästhetischer Schöpfungskraft zu bezeichnen sind: Als gelehrte Beamte mit Regierungsaufgaben zeichneten sie für die große Kontinuität des chinesischen Verwaltungssystems verantwortlich. [5] Ihr Kennzeichen war eine Eleganz, deren Ausstrahlungskraft die chinesische Kultur anders als im Westen über viele Jahrhunderte bis zur Kulturrevolution im 20. Jahrhundert leiten sollte. So existierte das kaiserliche Schulsystem der Literati bis zum Ende des Kaiserreichs im Jahr 1911 unter Kaiser Sui Yangdi. Erst mit der Kulturrevolution der sogenannten Vierten-Mai-Bewegung von 1919 lösten Taoismus und Buddhismus – die in der chinesischen Kultur zuvor eine eher untergeordnete Position eingenommen hatten – die mit den Literati verbundene Ästhetik ab. [6]

Deren spezifische, individuelle Ausdrucksformen hatten sich in den verschiedenen Dynastien entwickelt: Sie gehen im Wesentlichen auf Konfuzius (551–479 v. Chr.) und seine Moralphilosophie zurück, eines Zeitgenossen von Thales von Milet im Westen. [7] Er versuchte auf seinen Reisen, die herrschenden Könige und Adligen von seinen Ideen zu überzeugen. Er entwickelte mit dem Anspruch einer Festigung der Gesellschaftsstruktur in der Zeit der zwischen dem 3. vorchristlichen und dem 3. nachchristlichen Jahrhundert bestehenden Han-Dynastie ein Modell fester Zuschreibungen sozialer Klassen und genauer Aufgabenverteilungen. Seine Ideale suchte er weniger prospektiv in einem Fortschritt, als vielmehr in dem Versuch der Fortschreibung der Vergangenheit. In der Han-Dynastie (206-220 n. Chr.), die sich an den Prinzipien des Tao orientierte – und damit an einer besonderen Idee der Repräsentanz der Gesellschaft im Universum und der Gesellschaft als Abbild desselben – erreichte sein Modell einen Höhepunkt, indem es zur Staatsdoktrin erklärt wurde. Dieser Konfuzianismus vertrat ein klar strukturiertes Gesellschaftsmodell: an höchster Stelle stand die Idee einer Natur des Universums , an zweiter der Herrscher, gefolgt von den Vertretern der Regierung und Beamten. Zur Sicherung der Staatsordnung gegen Korruption entschieden sich die Vertreter des Systems für die Einführung der Rolle eines Kritikers, der sich als Literat bereits in der viel früheren Zhou-Dynastie von (1100–256 v. Chr.) hatte etablieren können und sich als Gelehrter und Künstler mit Staatsaufgaben auszeichnete. Unabhängig von seinem Gesellschaftsstand konnte sich jeder für das Amt des Kritikers bewerben.

Neben Konfuzius hatten sich unter anderem Literati wie der Philosoph Laozi (6. Jh. v. Chr.), ein Zeitgenosse Konfuzius', oder der Dichter Qu Yuan (340–278 v. Chr.) in diesem Feld hervorgetan. Diese historische Periode repräsentiert heute stellvertretend das so genannte Goldene Zeitalter oder die Qin-Dynastie (221–206 v. Chr.). Im Gegensatz zu Konfuzius lehnte Laozi jede Art einer positiven und fixierbaren Handlung ab, wie sie sich etwa auch in einer Verschriftlichung seiner Ideen dargestellt hätte. Stattdessen vertrat er das Modell einer performativen Präsenz, das heißt eines sich permanent mit der Welt wandelnden Ausdrucks der Person. Zu diesem fand er, der Erzählung nach, auf einer Reise: Zur Niederschrift genötigt, entwickelte er die Form des Ideogramms. [8] Die Ablehnung einer Verschriftlichung durch die erste Generation der Literati sollte später akribische Aufzeichnungen der Lehren der Meister durch ihre Schüler zeitigen, die dafür wiederum eigene kalligrafische Darstellungen fanden.

Der anfängliche Individualismus und Spiritualismus der Literati erreichte in der in den späteren folgenden 800 Jahren stetig erfolgenden Eingliederung in die Staatsorganisation bis zur Sui-Dynastie (581–618) eine neue formale Präsenz. Die Entwicklung von Poesie und Literatur in der sich anschließenden Tang-Dynastie (618–907) stellt einen Höhepunkt der chinesischen Kultur dar. Auch sie kann als ein Verdienst der Literati verbucht werden. In dieser Zeit institutionalisierte sich ihr Schul- und Evaluationssystem in einer Weise, die, nur unwesentlich verändert, in den folgenden 1000 Jahren beibehalten wurde. Zu einer Änderung kam es erst mit dem gewaltsamen Eintritt Chinas in die Moderne zur Zeit der Opiumkriege im 19. Jahrhundert. [9]

Aufgrund ihrer besonderen Ausdrucksfähigkeit konnten die Literati trotz ihrer verbreiteten Armut über viele Jahrhunderte zu anerkannten Vorbildern avancieren. Während der Zeit nach der mongolischen Eroberung Chinas (1270–1368), in welcher das alte Bildungssystem zurückgenommen wurde, sank die Bedeutung der Literati. Viele der Beamten zogen sich daher aufs Land zurück. Im Exil brachten sie daraufhin eine besondere eigene Form der Malerei und des Schreibens hervor. In dieser Abgeschiedenheit des Landlebens konnten sie ihre Kunst in einer Weise kultivieren, die sich insbesondere in zwei Bezeichnungen niederschlug: In der so genannten wen ren shi (Literati-Poesie) und in der wen ren hua Form (Literati-Poesie und -Malerei). [10] Ohnehin auf die Vorstellung eines permanenten Wandels ausgerichtet, verstärkten auch diese widrigen äußeren Umstände die Literati auf ihrer Suche nach neuen Ausdrucksweisen.

Unterschiedliche Kulturen

Im Vergleich zwischen traditionellem europäischem und chinesischem Verwaltungssystem lassen sich wichtige Unterschiede feststellen. [11] Im Gegensatz zur Rollenzuschreibung von in Poesie, Malerei und Kalligrafie geschulten Kritikern mit spiritueller Ausdruckskraft in der chinesischen Kultur setze das europäische System auf Formen der Anpassung. Michel Foucault hat für das 18. Jahrhundert und dessen Vorgeschichte gezeigt, dass sich das frühe europäische System zunächst durch eine äußere Kontrolle und Disziplinierung der Körper mit Bezügen zu Gericht und Krieg, später dann durch innere Territorialisierungen und psychologisierende Gewissensbildung entwickelte. [12] Nicht Züchtigung, sondern Verantwortung zeichnete dagegen die Ausbildung der Literati aus; dass dieser Weg erfolgreich war, zeigt sich unter anderem auch darin, dass China das höchst entwickelte und konstanteste Staatswesen seiner Zeit war. In ihrer Aufgabe als Gelehrte sollten die Literati, als tragende Beamte dieses Systems nun – anders als die entsprechenden Ratgeber in den europäischen Reichen – Entscheidungen nicht strategisch vorwegnehmen, sondern vielmehr den Prozess des Beratens selbst lenken. Die Literati besaßen durch ihre Beherrschung von Poesie, Malerei, Kalligrafie und Literatur die Fähigkeit zum künstlerischen Ausdruck wie auch zu freier Interpretation. Sie entwickelten also, um wiederum mit Foucault zu sprechen, einen anderen Umgang mit der Macht. [13]

Ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen der europäischen und der chinesischen Kultur tritt hinzu. Im Zuge der Disziplinargesellschaft hat die westliche Welt auch auf der Grundlage eines bestimmten Umgangs mit der Technik ein Weltmodell entwickelt, das den Glauben an eine Wirklichkeit direkt an realitätstüchtige Handlungen knüpft. Ursprünglich war der Begriff der „techné“, aus dem sich der Begriff „Technik“ ableiten lässt, in der griechischen Frühzeit an jede Art von Tätigkeit geknüpft. Damit trennte die griechische Idee der Handlung in ihren Anfängen nicht zwischen Kunst und Technik. Erst in der Folge separiert sich die Technik von der Kunst. An diesem Punkt scheiden sich die traditionelle chinesische und die europäische Philosophie. Anders als im Westen mit seinem tendenziell kausalistischen Denken wurde in der traditionellen chinesischen Philosophie die Wirklichkeit stärker als ein Möglichkeitsraum mit dem Fokus auf Zeiterfahrung und Interpretationsfreiheit aufgefasst.

Die heutigen Architekten Wang Shu und Lu Wenyu übersetzen nun diese traditionelle chinesische Mentalität in einen Konstruktionsprozess zurück, aus dem sie einst auch entsprang. Sie verlangsamen beispielsweise den Baubetrieb, indem sie ihre Verantwortung weitgehend auch an die beteiligten Handwerker abgeben. Diese führen die Vorgaben nicht lediglich aus, sondern sind am Prozess der Gestaltung entscheidend mitbeteiligt. Auf diese Weise gestalten die Architekten zusammen mit den anderen am Bau Beschäftigten die Erscheinung des Gebäudes während der Ausführung. Sie führen ebenso Bautechnik und Baukunst eng. Der Architekturprozess wird damit im besten Sinn des Wortes zu einem Möglichkeitsraum der Erfahrung wie auch der Gestaltung im Sinne einer gemeinschaftlichen Bautätigkeit.

Heldenfigur und Beobachter

In diesen Kontext der Vorstellung von einer prinzipiell lebendigen und daher in einem permanenten Wandel begriffenen Wirklichkeitskraft, die sich im kollektiven Gestaltungsraum niederschlägt, passt vielleicht auch ein weiterer Vergleich: nämlich derjenige zwischen den Handlungsgesetzen der Architektur von Amateur Architecture Studio und denjenigen der Tragödie. Der französische Philosoph und Sinologe François Jullien rückt die Bedeutung der griechischen Heldenfigur in den Kontext einer Heterotopie: Innerhalb einer Auswahl von mehreren Möglichkeitsräumen versucht der Held auch im Rahmen der topologischen Struktur des realen Ortes seine eigene Situation zu analysieren und ein neues Wirklichkeitsmodell zur Verbesserung seiner Situation etablieren. Das Ergebnis ist bekannt, es führt zu einer besonderen dramatischen Situation. Der chinesische Weise oder Literat dagegen nimmt seine individuelle Leistung zugunsten eines kollektiven, sich nicht auf ein Individuum beziehendes Interesse zurück und lehnt aus diesem Grund eine exemplarisch handelnde Heldenfigur ab. In dieser Perspektive tritt in der chinesischen Philosophie an die Stelle des westlichen Helden der Tat eine teilnehmende Position, die als bestimmte Voraussetzung des Erkennens der Wirklichkeit gilt. Jullien entwickelt hier die Metapher des „Faden“ oder „Geschmacklosen“ als eine besondere Ausgangsposition chinesischen Denkens. Anstelle eines aktiven und der unmittelbaren Ausführung stets nahegerückten Strategiedenkens steht in diesem Kontext im alten China vielmehr eine unauffällige Teilnahme im Sinne des Tao mit dem Ziel, die entstehenden Wirklichkeiten zu ermöglichen, um auf diese Weise die Potenziale von Situationen auszuschöpfen. Maßgebend für die chinesische Philosophie ist daher die Haltung eines aufmerksamen Abwartens mit der der obersten Priorität, störende Eingriffe im Fluss des sich selbständig entwickelnden Taos zu vermeiden. Innerhalb dieses Spiels und seiner handelnden und reflektorischen Praxis stehen zurückhaltende Gesten im Dienst der Gemeinschaft an besonderer Stelle, die als Konsequenz auch eine Entschleunigung nach sich ziehen. [14]

Im eigenen Rhythmus

Wang Shu und Lu Wenyu folgen also dieser alten Tradition, indem sie sich der Geschwindigkeit im heutigen chinesischen Baugewerbe widersetzen. Sie entscheiden sich auch aus diesem Grunde für das Einfügen recycelter Baumaterialien in neue Kontexte. Sie geben in diesem Zuge ihren modernen Gebäuden einen Teil der Kontrolle an den Zufall der Fügungen durch die Bauarbeiter ab. Mittels Improvisationen und handwerklichen Fügungen lassen die beiden Architekten die alten kulturellen Traditionen in dem neuen Licht einer anderen gegenwärtigen Moderne wieder aufscheinen. Dazu knüpfen sie auch an Alltagspraktiken des Baugewerbes an. Statt sich von strategischen Ãœberlegungen oder aktuellen Machtsymboliken leiten zu lassen, gehen sie andere Wege. So greifen sie beispielsweise die Praktiken des Häuserbaus von in Not geratener Chinesen auf, indem sie das dort übliche zufällige Fügen von Baumaterial aufnehmen und konzeptuell weiterführen. Der Prozess des Bauens wird auf diese Weise in einen gemeinschaftlichen Prozess überführt, dessen ästhetisches Erscheinungsbild das Ergebnis aller Beteiligten darstellt. Damit tragen sie nicht nur zu einer symbolischen Rehabilitation und Anerkennung unbeachteter Praktiken bei, sondern auch zu einer praktischen Kultur der sinnlich gestützten Erfahrung, wie sie beispielsweise auch Claude Lévi-Strauss im Mythischen Denken am Beispiel der Kulinarik als Verfeinerung der Sinne ausführt. [15]

Beim Bau des Historischen Museums in Ningbo beispielsweise wurde in großen Mengen Bauschutt recycelt. Als die Bauherren nach dem Entfernen des Baugerüsts die fertige Fassade des Museums das erste Mal sahen, deklarierten sie diese als „Monster“. Man berief eine Bürgerversammlung ein, um über den Umgang mit dem Museum zu beraten. Schließlich entschied man sich für eine Experimentierphase. Doch zur Ãœberraschung aller Beteiligter verzeichnete das Museum bereits kurz nach der Eröffnung dreimal höhere Besucherzahlen als erwartet. So besuchten viele Menschen das Museum gleich mehrfach, weil sie darin ihre alten, abgerissenen Häuser wiedererkannten. Das neu entstandene Gefüge aus alten und neuen Materialien erlaubt es auf diese Weise einem Massenpublikum, Versatzstücke seines frühreren Lebens in der Fassade wieder zu erkennen, die so die Erinnerung an die alten Orte wachhält. Wang Shu und Lu Wenyu setzen durch das Einfügen einzelner Versatzstücke in die Fassade des Neubaus auf ein Anregungsverhältnis dieser Erinnerung. [16] Man könnte hier von einer „Aufhebung“ im Hegel' schen Sinne sprechen: Etwas wird erhalten und auf eine neue Stufe gehoben.

Abb. 2. Wang Shu und Lu Wenyu, Historisches Museum in Ningbo, Foto: Iwan Baan.

Für eine humanere Baukultur

Eine solche Anregung einer Erinnerung, die den Gebäuden durch den Erhalt und die Wiederverwendung von Baumaterialien zugesprochen werden kann, bildet auch nach Hannah Arendts Vorstellungen die Voraussetzung des Menschlichen. Arendt charakterisierte die Dauerhaftigkeit von Behausungen als die „größte Aufgabe der Welt“, die sie in der Nachkriegszeit durch die Optimierung der Produktionszyklen gefährdet sah. [17] Dieses Verhältnis trifft auf andere Weise auch auf das heutige China zu. Denn auch wenn die Architekten den dort aktuell rigorosen Abriss von Dörfern nicht verhindern können, so setzen sie doch unter solchen Bedingungen zumindest Maßstäbe für eine neue humanere Baukultur, die den traditionellen Wohnungsbau und die Alltagspraxis ins öffentliche Bewusstsein rückt. Ãœber die sinnliche Erfahrung am Ziegel oder am Stein erhalten sie eine Atmosphäre und gleichsam malerische Erinnerung des Ortes wach. [18] Die Ortsbindung, die auch Martin Heidegger im Begriff des „Bleibens“ fasst, wurde im Zuge der Moderne verkehrt, indem neue Techniken und Materialien auf eine Distanzierung vom Ort abzielten. [19] Wang Shu und Lu Wenyu setzen auf eine andere Distanz und Anwesenheit zugleich, die wiederum von den Künsten der Literati abgeleitet werden kann. Diese verwendeten dafür drei Begriffe: shenyuan (tiefe Distanz), pingyuan (flache Distanz) und gaoyuan (hohe Distanz). Die Architekten ermöglichen diese Gebilde und ihre besondere Atmosphäre mittels konkreter sinnlicher Erfahrungen am Material und damit eine neue Identifizierung mit einem alten Ort. [20]

Die Architektur des Amateur Architecture Studio erscheint daher im Licht einer anderen Moderne, die auf Imagination durch anwesenden Abstand setzt. Es gelingt den Architekten auf diese Weise, neue Zeichen im chinesischen Bauwesen zu setzen. Sie brechen mit der Geschwindigkeit der Bauindustrie und dem modischen Umgang mit westlichen Vorbildern. Das ist nicht einfach, aber notwendig. Japan beispielsweise stellt heute sein materielles architektonisches Kulturgut nach UNESCO-Richtlinien unter Schutz. Diese umfassen sowohl Bauwerke als auch die Handwerkskunst einer Person. Einen solchen besonderen Schutz gibt es in der chinesischen Kultur (noch) nicht. Architekten wie Wang Shu und Lu Wenyu arbeiten allerdings in diese Richtung. Sie aktualisieren nicht nur das traditionelle chinesische Handwerk, sondern setzen sich auch für eine Nachhaltigkeit ein, in welcher eine zeitliche Entwicklung in einem Zusammenhang mit bestimmten Erfahrungsräumen gesehen wird. Der eingefügte recycelte Ziegelstein wird, wenn man so sagen darf, zum Ding im etymologischen Sinn als Thing, nämlich als Versammlungsort, auf den die Geschichte des germanischen Wortstamms noch hinweist. So ermöglichen die eingebauten Reste über ihre architektonische Zweckbestimmung hinaus eine erneute Zusammenkunft von Menschen an konkreten Orten in einer Weise, die die Erinnerung nicht ignoriert. Hier beleben die Architekten wiederum eine chinesische Kohärenz von Landschaft und Gefühl, die in der Blütezeit der chinesischen Malerei in der Yuan-Dynastie (1270 - 1368 n. Chr.) auf ein realistisches Abbildungsverhältnis verzichtete. Im Mittelpunkt stand vielmehr der Ausdruck von inneren Befindlichkeiten über schwarz-weiße Landschaften oder das Einbeziehen von Leerräumen in die Bildkomposition, die von Distanzen getragen wurde. Wang Shu und Lu Wenyu schaffen es in ihren Bauten, die im Material eingeschrieben Bedeutungsebenen für den Betrachter wieder zugänglich zu machen [21].

Abstraktion versus Mimesis

An dieser Stelle lohnt sich eine letzte Gegenüberstellung, diesmal zwischen chinesischer und westlicher Sprachkultur. Während die Struktur der indogermanischen Sprachen durch die Festlegung und Hierarchie der Grammatik nur wenige Interpretationsspielräume zulässt und auf Differenzen zwischen Subjekten und Objekten baut, ist die chinesische Schrift vergleichsweise unhierarchisch aufgebaut. Das Charakteristikum chinesischer Schriftzeichen liegt demnach in einem heterotopischen Nebeneinander, das immer auf Interpretationen angewiesen ist. Wie zuvor gesagt, konstituieren hier nicht feste Zuschreibungen, sondern prinzipielle Uneindeutigkeiten die Wirklichkeit und tragen zu Erneuerungen auch der chinesischen Schrift bei. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen beiden Kulturen liegt damit in der freieren Interpretation, die die chinesische Schrift unterstützt, der entsprechenden Form der Kommunikation der jeweiligen technischen Wissenskulturen: Gegen frühe europäische schriftliche Aufzeichnungen zugunsten von Standardisierungen setzte man im traditionellen China auf mündliche und damit personengebundene Weitergaben von Wissen.

Die ebenfalls collageartige Verwendung von Ziegel und Steinmaterial gegen Musterbildungen revitalisiert damit zugleich eine Baukultur zwischen vermitteltem und praktischem Wissen, das auf seine lange Geschichte zurückweist und durch Verzicht auf feste Formvorgaben Spielräume der Interpretation in der Realisierung offen hält. Weil technische Innovationen ursprünglich sowohl in Europa als auch in China auf Ablehnung stießen, mussten sie durch traditionelle Bezüge legitimiert werden. [22] Ein Beispiel dafür liefern die bei Vitruv zu findenden Anleitungen zu Ausführungen im Steinbau. Aus Gründen von Ãœberzeugungsstrategien mit dem Ziel der Anschaulichkeit sollten die Vorbilder für Steinelemente in der Architektur wegen der schnelleren Herstellung aus Holz gefertigt werden. Dabei wurden die im Material eingeschriebenen Eigenschaften für das Erscheinungsbild nicht in Erwägung gezogen. Stattdessen ging es lediglich um die Umsetzung vorgestellter Bilder und gerade nicht um Freiräume der Interpretation. Anschauliche Vorbilder als Einzelobjekte ohne Kontextbezug standen hier also im Vordergrund. So können die Vitruv' schen Ideen der firmitas, utilitas und venustas im Kontext ihrer Erscheinungsform konträr zur chinesischen Auffassung der Anpassung von Material oder Bautypologien an den Kontext gelesen werden. [23]

Kalligrafie, Poesie, Malerei und Literatur weisen in der traditionellen chinesischen im Gegensatz zur Idee der Repräsentation und unter weitgehendem Verzicht eines Symbolismus einen hohen Abstraktionsgrad auf. Dieser muss als Anregung verstanden werden. Er geht auf die Hochkultur der Malerei der Literati in der Song-Dynastie zurück, in denen Maler Farben nur sehr reduziert einsetzten. Ziel war die Repräsentation innerer Zustände, nicht aber das Abbilden äußerer Realität. [24] Wang Shu und Lu Wenyu arbeiten mit diesen Formen der Anregung. Sie setzen damit die Tradition der Literati fort, die in China im frühen 20. Jahrhundert über Bord geworfen wurde, um sie durch die neuen westlichen Vorbilder zu ersetzen. [25] Der Zusammenhang von Fortschritt und Technik ersetzte den Glauben an Vergangenheit und Individualismus; in diesem Zuge fiel auch die durch die Literati institutionalisierte Tradition der Kritik. Das scheinbar profane Einfügen der Architekten von Bauschutt in einen Neubau wie im Historischen Museum in Ningbo muss daher auch als Zeichen eines endogenen, aus der eigenen Kultur kommenden Widerstands gegen Fortschritt und Abriss und Tradition und Erinnerung gedeutet werden. [26]

Einfügen als Kulturtechnik

Aus dieser Perspektive lässt sich Wang Shus und Lu Wenyus Architekturpraxis auch als neue Kulturtechnik interpretieren, die zum Erhalt einer Erinnerungskultur den Umweg über die Architektur als Zeichenkunst geht. Wang Shu, der selbst gänzlich auf digitale Pläne verzichtet und weiterhin mit Papier und Bleistift zeichnet, ermuntert als Lehrer auch seine Studierenden, sich in Kalligrafie und Literatur zu üben. Ritualisierungen treten hier vor strategischen Ãœberlegungen in den Vordergrund. [27] Gigantomanische Projekte wie der Drei-Schluchten-Staudamm, bei dessen Bau über eine Millionen Chinesen ersatzlos ihre Heimat verloren haben, verdeutlichen die politische Brisanz eines Bauens, das die Technik zum Maß aller Dinge erhebt.

Wang Shu und Lu Wenyu gehen hier einen anderen, individuellen Weg einer verloren gegangenen Tradition. Als Architekten berufen sie sich dazu auf eines der entscheidenden Architekturgesetze: das Fügen. [28] Dieses unterwerfen sie nicht der technischen Optimierung industrieller Fertigungen, sondern binden es in einen weiteren kulturellen Zusammenhang ein. Das noch von Le Corbusier im Modulor propagierte menschliche Maß führen Wang Shu und Lu Wenyu weiter: den Prozess des Fügens integrieren sie in ein elementares soziokulturelles Bauverfahren gleichermaßen wie sie die elementare architektonische Operation des Fügens in ein linguistisches Bedeutungssystem überführen. Das hat nichts mit Rückschritt zu tun, es hebt vielmehr die undialektische Gegenüberstellung von Fortschritt und Tradition auf. Die Architekten schreiben die Moderne auf diese Weise mit neuen Mitteln fort und tragen zu einer Ästhetik bei, die sich direkt auf die Tradition der Literati zurückführen lässt.

So wie in der chinesischen Malerei und Kalligrafie die Blätter nie vollständig beschrieben waren, sondern die Leere ein entscheidendes Merkmal darstellte, so formieren auch die Brüche im Fugenbild der Architekturen Wang Shus und Lu Wenyus Leerstellen des regulären Fugenverbunds mit imaginativem Charakter und humanistischem Anspruch. Die Fuge als ein wesentliches Merkmal der Architektur bildet hier zudem das Scharnier zwischen Geschichte und Gegenwart. Mittels solcher Fügungen gelingt es den Architekten, individuelle Ästhetiken von nach strengen architektonischen Maßstäben höchstem Wert zu schaffen, während sie beiläufig aktuelle Tendenzen im chinesischen Baugewerbe kritisieren. [29] „Jian guan“, wörtlich „vorschlagen“, steht chinesisch für Kritik und könnte eine neue Kategorie des Fügens bezeichnen.



[1] Siehe dazu Kai Strittmatter: „Der Weltveränderer.“ In: Süddeutsche Zeitung (2013), Nr. 293, 19.12.2013, S. 11.

[2] "Der Vater war reisender Violinist bei der Kapelle der Eisenbahn, im eigenen Heim leidenschaftlicher Handwerker dazu, schreinerte alle Möbel selbst, lehrte seinen Sohn, den Geruch von Spänen, die Arbeit mit den Händen zu lieben." Ebd.

[3] "Think of the legendary origin of drawing and its relation to sculpture in Pliny's Natural History: the Maid of Corinth traces the silhouette of her departing lover on the wall, thus inventing drawing, a medium grounded in desire, eros, and fantasy. But then her father, Butades the potter, goes on to invent sculpture by making a three-dimensional relief portrait out of the sketch as a gift to his daughter. Both the drawing and the sculpture, however, depend upon two prior conditions: 1) the presence of architecture in its minimal form: the silent, blank wall on which the two-dimensional image is cast, traced, and then sculpted in three dimensions of ’relief‘ from flatness; 2) the human body, as both the center and periphery of architecture, what envisions it from without, and inhabits it from within. The body is not only what draws, but also what is drawn, both to sculpture and to architecture." W. J. T. Mitchell: “Back to the Drawing Board: Architecture, Sculpture, and the Digital Image.” In: Jörg H. Gleiter/Norbert Korrek/Gerd Zimmermann (Hg.): Die Realität des Imaginären. Architektur und das digitale Bild. Weimar 2008, S. 13–22, hier S. 15.

[4] Es ist immer schwer, sich in eine andere Kultur einzudenken. Daher sind die folgenden Ãœberlegungen unter dem Vorbehalt einer Sichtweise von außen entstanden. Sich ernsthaft auf eine chinesische Tradition berufen zu wollen, setzte einen ausführlichen Diskurs über den Vergleich mythischer Ãœberlieferungen im Westen und in orientalischen Gesellschaften voraus, den ich hier nicht führen kann. Mir geht es vielmehr um den Aufweis einer unterschiedlichen Sichtweise, die es erlauben soll, sowohl gegenüber der westlichen Baukultur als auch den aktuellen Entwicklungen in China eine kritische Position einzunehmen. Zu diesem Zweck werden hier Positionen der Tradition eingeführt, die zunächst nur genannt werden. An anderen Stellen muss eine genaue Begründung dieser Zusammenhänge erfolgen. Eine Richtung dazu lässt sich angeben mit Marcel Grinet, „Right and Left in China.“ In: Rodney Needham (Hg.): Right and Left. Rodney Needham Essays on Symbolic Classification. Chicago 1973, S. 4358.

[5] Vgl. Yang Lian: „Die Eleganz der Literati. Individualität und Ästhetik in der klassischen Kultur Chinas.“ In: Lettre International (2014), H. 105, S. 17–24.

[6] "Die Vierte-Mai-Bewegung war das Ergebnis einer sich vertiefenden Auseinandersetzung mit dem Ausland seit der gewaltsamen Öffnung Chinas. Im Gegensatz zu der Reformbewegung, aber auch im Unterschied zu den Zielen der Republikaner, die sich das Heil im wesentlichen von moderner Wissenschaft, Technik und von politisch-rechtlichen Institutionen des Westens versprachen, wurde in der Vierten-Mai-Bewegung das gesamte traditionelle Erbe in Frage gestellt." (G. Linck: Frau und Familie in China. München 1988, S. 103–104).

[7] Vgl. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Chinesische Philosophie, in: ders., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Leipzig: Reclam 1982, Bd. 1, S. 115. Für Hegel bilden die Chinesen allerdings nur das Vorspiel für die Griechen, mit die Philosophie erst wirklich einsetzt.

[8] Berthold Brecht nimmt dieses Motiv in seinem Gedicht „Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration“ auf; vgl. Bertolt Brecht: Ausgewählte Werke in 6 Bänden. Bd. 3, Frankfurt am Main 1997, S. 474–475 und Walter Benjamin, Kommentare zu Gedichten von Brecht, Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1989, Band II, S. 568-572.

[9] Vgl. Jonathan Spence: Chinas Weg in die Moderne, München: Verlag bpb, 2008. Siehe dazu anschaulich auch den Film Der Opiumkrieg von Xie Jin (CH/JAP, 1997).

[10] Siehe dazu Lian 2014 (vgl. Anm 5), S. 20.

[11] Siehe dazu z.B. Theodor Mommsen: Römische Kaisergeschichte. Nach den Vorlesungsmitschriften von Sebastian und Paul Hensel. hg. von Barbara Demandt und Alexander Demandt, München 1992.

[12] Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt am Main 1994.

[13] Vgl. Bjung-Chul Han, Semantik der Macht, in: ders., Was ist Macht? Stuttgart: Reclam 2008, Seite 37-63.

[14] „Der chinesische Gebildete verlangt nicht etwa (auf voluntaristische Weise) nach Sinn, er macht sich für ihn disponibel (die ’Sinnsuche‚ als Zweck an sich, dieses unser großes modernes Phantasma, war nie sein Problem): Zwar ’kümmert‚ er sich – dem Ausdruck des Menzius gemäß – wartet aber gleichzeitig, daß in ihm der Sinn heranreife. Nicht drängen, nicht erzwingen: Wir stoßen hier erneut auf den in China (und für all seine Schulen) zentralen Wert dessen, was kommt oder geschieht, ’ohne daß es notwendig wäre, zu handeln‚, oder vielmehr einzugreifen, das heißt ohne Aktivismus an den Tag zu legen.“ Francois Jullien: Umweg und Zugang. Strategien des Sinns in China und Griechenland. Wien 2000, S. 351.

[15] Lévi-Strauss untersucht am Beispiel der Nahrung die Ãœbertragungsformen auf die Sinne: „[Es] werden diese drei Kategorien (Landwirtschaft, Jagd, Kannibalismus), die man ’gustativ’ nennen könnte, in den Termini eines anderen sensorischen Systems kodifiziert: dem des Gehörs. Schließlich haben die auditiven Symbole die bemerkenswerte Eigenschaft, unmittelbar zwei andere sensorische Kodierungen zu evozieren: ein olfaktorisches und ein taktiles.“ Claude Lévi-Strauss, Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte. Frankfurt am Main 1971, S. 6.

[16] Vgl. dazu Dieter Hassenpflug: Der urbane Code Chinas. Basel u. a. 2009.

[17] Vgl. dazu Hannah Arendt: Vita activa, oder Vom tätigen Leben. München 2002, S. 180.

[18] Der einzelne Stein gleicht damit dem Maler aus der alten chinesischen Legenden. Dieser malt sich ein Bild, in das er, wenn er nachdem er seine Arbeit beendet hat, selbst hineintritt und damit in einen anderen Zustand übergeht. Bevor er aber ganz die Schwelle überschreitet, winkt er noch einmal zum Abschied aus dem Bild heraus. Genau so wirken die alten Ziegel und Ruinen in den neuen Fassaden. (Vgl. Walter Benjamin, Die Mummerehlen, Berliner Kindheit um Neunzehnhundert, GS IV, 1, S. 262-263. Die Geschichte findet sich in einer ähnlichen Form auch bei Ernst Bloch, Durch die Wüste, Berlin 1923, S. 140).

[19] Vgl. dazu Martin Heidegger: „Das Ding.“ In: ders.: Vorträge und Aufsätze. Pfullingen 1954, S. 163–181.

[20] Vgl. dazu Gernot Böhme: Atmosphäre. Frankfurt am Main 1995, S. 51.

[21]

[22] Vgl. dazu Birgit Fenzel: „Made im alten China.“ In: MaxPlanckForschung (2008), H. 3, S. 26–31, bes. S. 28.

[23] Zu dieser Trias siehe Vitruv: Zehn Bücher über Architektur. Darmstadt 1991, S. 177.

[24] Ähnliche Betrachtungsweisen gibt es in Europa in der byzantinischen Ikonenmalerei; vgl. dazu Jullien 2000 (vgl. Anm. 11), S. 139–162.

[25] Unter welchen Umständen diese Öffnung des Reiches für den besten sich vollzog, beschreibt auch W. G. Sebald im sechsten Teil seines Buches Die Ringe des Saturn. Eine englische Wallfahrt. Frankfurt am Main, 1997, Seite 165-200, als eine Naturgeschichte kolonialer Zerstörung.

[26] In einem Brief schreibt Benjamin, dass er sich dort sehr lebhaft einfühle, wo er einem „ideell und programmatisch nahen Menschen begegne. Ein solcher trat mir entgegen in dem chinesischen Literaten Ku Hung-Ming der ein Buch geschrieben hat Chinas Verteidigung gegen europäische Ideen. (Bei Diederichs) Es ist im einzelnen bei meiner völligen Unkenntnis der chinesischen Politik nicht anschaulich für mich gewesen; doch es überrascht, unter ganz fernen Verhältnissen einen so radikalen Kulturwillen zu bemerken, wie Hung-Ming ihn bewährt. Er steht jenseits der führenden Persönlichkeiten rücksichtslos nach ihrer moralischen Dignität und sieht für das heutige China mit Schrecken die Gefahr, daß es von dem zynischen industrialistischen Geist Europas vergewaltigt werden kann.“ Walter Benjamin: Gesammelte Briefe. Bd. 1, hg. von Christoph Gödde und Henri Lönitz, Frankfurt am Main 1995, S. 77.

[27] Vgl. der in einem modernen Sinne Christoph Türcke, Hyperaktiv. Kritik der Aufmerksamkeit Defizit Kultur, München: Beck 2013.

[28] In der späten Philosophie Martins Heideggers spielt der Begriff ebenfalls eine große Rolle, auf die an dieser Stelle aber nicht eingegangen werden kann. Wir beschränken uns zunächst auf das engere architektonische Umfeld. Vgl. beispielsweise Martin Heidegger, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), in: ders., Gesamtausgabe, Frankfurt am Main 1994, Band 65.

[29] François Jullien beschreibt die physische Qualität der hinter Bildern liegenden insinuierten Kritik. Vgl. ders., Umweg, a.a.O., S. 57-74.

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erstellt von Sandra Schramke zuletzt verändert: 18.11.2019 13:20
Mitwirkende: Schramke, Sandra, Bock, Wolfgang
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