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editorial ephemere architektur

  1. Dr. Nadja Horsch

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Mit dem Heft ephemere architektur erscheint die dritte Ausgabe von archimaera, zu der wir Sie sehr herzlich willkommen heißen.

Die architektonische Kategorie des Ephemeren, nicht Dauerhaften, Flüchtigen wird in den zwölf Beiträgen des Heftes aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln und in vielfältigen Brechungen präsentiert. Das Themenspektrum reicht von der Festarchitektur, die das Ephemere für die Erzeugung staunenswerter Prachtentfaltung und phantasievoller Parallelwelten ebenso zu nutzen wusste wie für die publikumswirksame Verbreitung von politischen, religiösen und Bildungsinhalten, bis hin zu zeitgenössischen architektonischen und städtebaulichen Konzepten, die die Reversibilität ephemerer Konstruktionen als eigene Qualität erkannt und fruchtbar gemacht haben.

Das Fest als "wahrer Ãœbergang aus dem Leben in die Kunst" wusste, wie Jacob Burckhardt es für die Renaissance formulierte, sich von jeher des Ephemeren zu bedienen, um einen " erhöhten Moment " im Lebensalltag der Menschen entstehen zu lassen.[1] Das Außergewöhnliche, Herausragende eines Ereignisses verlangte einen angemessenen architektonischen Rahmen, der sich von der alltäglichen Architekturerfahrung der Festteilnehmer deutlich absetzte und einen Raum des Exzeptionellen entstehen ließ. Auch wenn eine systematische theoretische Reflexion der Festarchitektur erst im 18. Jahrhundert einsetzte,[2] lässt sich beobachten, dass diese auch vorher nicht etwa als Ersatz für "echte" Architektur betrachte wurde, sondern dass man die ihr eigenen Möglichkeiten erkannte und einzusetzen wusste. Wo firmitas und – wenigstens im üblichen Sinne – auch utilitas weitestgehend unbeachtet bleiben durften, konnten andere Qualitäten umso mehr betont werden. Dies betrifft etwa die besondere "Sprachfähigkeit" ephemerer Festbauten, die für repräsentative wie auch für didaktische Zwecke eingesetzt werden konnte (vgl. die Beiträge von Nadja Horsch/Martin Raspe sowie Susanne Kolter), oder die von Christian Quaeitzsch herausgearbeitete virtuose Handhabung gattungsimmanenter Qualitäten wie Bewegung und Wandlungsfähigkeit. Den Einsatz ungewöhnlicher Materialien in der ephemeren Architektur thematisiert Martin von Byern mit den Zuckerbauwerken des gefeierten Pâtissiers und Architektur-Dilettanten Antonin Carême. Ein weiteres Spezifikum der Gattung ist ihre Ãœberlieferung in Wort und Bild, die über ihren Quellencharakter für den Kunsthistoriker hinaus spätestens seit den gedruckten Festberichten des 16. Jahrhunderts als integraler Bestandteil der Gesamtkonzeption gesehen werden muss. Das breite Spektrum der Festpublikationen und der mit ihnen verfolgten Intentionen scheint in den Beiträgen von Jana Glorius und Heiko Lass auf, die zwei barocke Festschriften mit besonderem Augenmerk auf die mediale Vermittlung der ephemeren Architektur analysieren.

Der Artikel von Silke Haps zeigt am wenig bekannten Beispiel des "Alpenpanoramas", wie um 1900 auf dem neuesten Stand der industriellen Bautechnik totale Rauminszenierungen geschaffen wurden, die jeden barocken Festkünstler in Entzücken versetzt hätten. Demgegenüber betont die nächtliche Fotostrecke von Karl Kegler zum Kölner Karneval den prosaischen Charakter heutiger Fest-"Architekturen", die nichtsdestotrotz – als Infrastruktur für die festliche Vereinnahmung durch Menschen und Festwagen – eine Verwandlung des Stadtraums bewirken können.

Die architektonische Inszenierung außergewöhnlicher Anlässe stellt jedoch nur eine Facette der ephemeren Architektur dar. Weitere Aspekte thematisieren die Beiträge in der zweiten Hälfte des Heftes, die sich mit dem breiten Spektrum ephemerer Erscheinungen in der Kunst und Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts befassen.

Alexandra Kleis Artikel zur musealen Präsentation von KZ-Barackenarchitektur beleuchtet zum einen mit den temporären Zweckbauten eine weiterem von der Festarchitektur denkbar weit entfernte Erscheinungsform der "Architektur auf Zeit", zum anderen die Frage nach den Möglichkeiten der nachträglichen Visualisierung "unsichtbarer", aufgrund ihres ephemeren Charakters verschwundener Architektur. Weitere Brechungen des Ephemeren führt Albert Coers in seinem Beitrag vor: Die hier analysierten Ausstellungsarchitekturen von Thomas Demand treten mit den sie beherbergenden Ausstellungsbauten ebenso in Dialog wie mit den ephemeren Kunstwelten der von ihnen präsentierten Fotografien Demands.

Die von Carsten Land und Jordana Tomé vorgestellte "casa efemera" für die EU-Ratspräsidentschaft in Lissabon führt das "Ephemere" im Namen und demonstriert als temporäres Bauwerk für temporäre Funktionen eindrucksvoll die Möglichkeiten intelligenter Architektur auf Zeit. Dies gilt auch für die von Thomas Knüvener behandelten Beispiele für urbane Zwischennutzungen, die in Zeiten schrumpfender Städte mit minimalem Aufwand Stadtstruktur verbessern und aufwerten und die in der aktuellen Städtebautheorie zu einer eigenen Kategorie geworden sind.

archimaera wünscht viel Vergnügen bei der Lektüre!



[1] Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien. In: Jacob Burckhardt: Gesammelte Werke. Berlin 1955, Bd. 3, S. 273.

[2] Vgl. den Überblick bei Werner Oechslin / Anja Buschow: Festarchitektur. Der Architekt als Inszenierungskünstler . Stuttgart 1984, S. 19-42.

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erstellt von Nadja Horsch zuletzt verändert: 18.11.2019 13:20
Mitwirkende: Horsch, Nadja
DPPL